Übers Laufen und was sonst so draußen passiert.

Marathon geht auch ohne Training

Es geht tat­säch­lich. Aber, um das gle­ich klarzustellen, vernün­ftig ist das über­haupt nicht. Und empfehlenswert auch nicht so richtig.

Aber von vorne: Nach langem Über­legen hat­te ich mich im Sep­tem­ber doch wieder für den Mainz­er Guten­berg-Marathon angemeldet. Ich war mir zwar noch nicht sich­er, ob ich den auf neue  Bestzeit laufen würde oder ein­fach so. Aber Train­ing hat­te ich schon geplant. Dann wollte aber zunächst meine Ferse nicht so recht. Und dann war Win­ter. Und dann … Ehe ich mich ver­sah, war jeden­falls schon wieder Feb­ru­ar — und ich ging beim 5. Mainz­er Maa­raue-Marathon auf den let­zten Run­den ziem­lich kläglich unter (kein Wun­der, die lan­gen Läufe fehlten ein­fach). Aber irgend­wie war das immer noch nicht genü­gend Moti­va­tion, endlich mal wieder in ein richtiges, geregeltes, ordentlich­es Marathon-Train­ing einzusteigen. Stattdessen spielte ich quer­feldein herum und begann, öfters in den Fivefin­gers zu laufen — was natür­lich, vor allem zu Beginn, gehöri auf die Dis­tanzen ging. Immer­hin hielt mein Streak noch: So kurz vor der Drei-Jahres-Marke wollte ich nicht klein beigeben. Und dann war der April auch schon wieder fast zu Ende und ich stand endgültig vor der Entschei­dung: Was mache ich nun am 8. Mai? Laufe ich trotz allem ver­such­sweise einen Marathon? Oder höre ich nach der ersten Runde auf? Ganz aus­fall­en lassen wollte ich das nicht, dafür war mir die Start­ge­bühr eigentlich zu hoch. Also mein vor­läu­figer Beschluss: Ich laufe zunächst den (sowieso schon geplanten und gemelde­ten) Franken­stein­lauf mit den Fivefin­gers. Und am Woch­enende danach stelle ich mich ein­fach an den Start, laufe los und schaue, was dabei rauskommt — dur­chaus mit dem Ziel, die 42 Kilo­me­ter auch voll zu machen.

Aber so ein­fach war es dann doch nicht. Beim Franken­stein­lauf ging näm­lich etwas schef (was, das weiß ich immer noch nicht): Am Ende der net­ten 15 Kilo­me­ter hat­te ich riesige Blasen unter den bei­den Fersen. Vor allem der linke Fuß (und links ist sowieso die Seite, wo bei mir alle Unfälle passieren) sah gar nicht gut aus. Den Anfang der Woche habe ich die Füße also mit kurzen Läufen geschont. Beim ersten etwas “län­geren” Lauf, der Dreibrück­en­runde mit ca. 12 Kilo­me­tern, am Don­ner­stag hat­te ich wohl doch die falschen Schuhe erwis­cht. Jeden­falls hat es links noch ein­mal etwas gerieben und die Blase — die ja nicht nur auf der Sohle war, son­dern sich auch auf den Außen­rist hochzog — fing an, sich zu öff­nen. Das war jet­zt wirk­lich blöd, die neue Haut unter der Blase war näm­lich noch reich­lich empfind­lich. Also wieder alles in Frage stellen? So schnell nicht, es gibt für alles eine Lösung. Und der Plan bestand weit­er­hin. Zumal ich mich inzwis­chen ein­er kleinen Gruppe Mainz­er Läufer angeschlossen hat­te, die beim Marathon mit entsprechen­den T‑Shirts für den Ausstieg aus der Atom­en­ergie wer­ben woll­ten — ein Rück­zug war jet­zt also nicht mehr möglich.

Und dann war es auch schon Son­ntag. Der Weck­er klin­gelte um acht Uhr, das sollte mir genü­gend Zeit geben, mich vorzu­bere­it­en. Denn das Wichtig­ste heute war: Tapen ohne Ende. Alle halb­wegs kritschen und gefährde­ten Stellen der Füße wur­den großzügig mit Leuko­tape gesichert.

Trotz­dem war ich mir immer noch nicht im Klaren, wie das aus­ge­hen würde … Kurz vor Neun machte ich mich dann auf den kurzen Fußweg zum Start an der Rhein­gold­halle. Eigentlich waren die Läufer “gegen Laufzeitver­längerung” am Ende des ersten Start­block­es verabre­det. Aber das war offen­sichtlich keine gute Idee gewe­sen — gefun­den haben wir uns da näm­lich nicht. Da ist auch kein Wun­der: Die Star­tauf­stel­lung in Mainz ist zwar the­o­retisch gut und genau geord­net, löst sich aber jedes Jahr spätestens um 9.20 Uhr in totales Chaos auf. Im ersten, roten, Start­block waren dann auch wirk­lich alle Far­ben zu sehen: Grün, Blau, Gelb, Orange. Und das merkt man auf den ersten Kilo­me­tern, die ja sowieso ein ziem­lich­es Gewusel sind, doch sehr deut­lich.

Irgend­wann war es dann wieder soweit: Die häm­mernde 08/15-Tech­no­musik durfte schweigen, der Marathon wurde ges­tartet. Selb­st für den ersten Block dauert das natür­lich immer etwas, bis man wirk­lich an der Star­tlin­ie ist und loslaufen kann. 12000 Läufer seien am Start, hieß es im Feld. Kein Wun­der, bei strahlen­dem Son­nen­schein und schon mor­gens angenehmen 20 °C gibt es kaum Ausre­den … Also, es ging los. Ich schwamm zunächst ein­fach mal im Feld mit, schaute, was so passiert — mit mir und meinen Füßen. Und meinen untrainierten Muskeln. Bald hin­term Start holte mich der erste Anti-Atom-Läufer ein, zog aber bald weit­er, weil er einen zügigeren Halb­marathon geplant hat­te. Etwas später wiederum hat­te ich auf ein­mal eine Geis­ter­hand an der Schul­ter: Ronald, auch mit gel­ben T‑Shit, hat­te mich gefun­den. Das war eine gute Fügung, wir blieben bis kurz vor der Halb­marathon­marke zusam­men. Bis dahin lagen aber noch ein paar Kilo­me­ter vor uns. Bei der ersten Verpfle­gung auf dem Weks­gelände von Schott war großes Chaos — angesichts der Wärme woll­ten die meis­ten Läufer gle­ich von Anfang an trinken, was die hil­fs­bere­it­en Wasser­auss­chenker gut in Anspruch nahm. Denn noch war das Feld sehr dicht, wir waren ja auch erst einige Kilo­me­ter unter­wegs. Und es blieb auch recht voll auf der Strecke: In unserem Tem­po waren ziem­lich viele unter­wegs. So spul­ten wir also Kilo­me­ter für Kilo­me­ter ab, meist zwis­chen 5’20 und 5’30. Meine Tak­tik sah eigentlich gaaaaanz anders aus: Da ich meine Form über­haupt nicht ein­schätzen kon­nte, hat­te ich mir das vol­lkom­men willkür­liche Ziel der Vier-Stun­den-Marke geset­zt, was — vor allem am Anfang — eher 5’40 pro Kilo­me­ter bedeutet hätte. Aber irgend­wie liefs ein­fach lock­er und angenehm — durch’s Mom­bach­er Gewer­bege­bi­et und dann wieder durch den großen Hotspot Mom­bach — die ganz selb­st­be­wusst, aber nicht völ­lig zu Unrecht behaupteten, die beste Stim­mung an der Strecke zu haben, zurück in Rich­tung der Mainz­er Innen­stadt. Bis dahin gab’s natür­lich wieder einige Schlenker und Kur­ven durch die Wohnge­bi­ete der Neustadt. Aber inzwis­chen, nach sieben, acht Kilo­me­tern, machte das Laufen in diesem Tem­po richtig viel Spaß. Auch wenn ich anf­ing zu grü­beln, wie wohl meine zweite Runde ausse­hen würde — Roland wollte ja irgend­wo bei Kilo­me­ter 30 aussteigen um seine Kräfte für den Rennsteig-Marathon zu sparen.

Ruck­zuck waren wir dann um die Chris­tuskirche herum und eil­ten schon wieder auf die Alt­stadt zu. Sehr schön immer wieder der Moment, wenn man von der Lang­gasse auf die Lud­wigstraße ein­biegt, und in die Pub­likums­massen ein­taucht — da war schon ziem­lich viel los. Auch auf dem Guten­berg­platz und durch die Augustin­er­straße war wieder klasse Stim­mung. Dann, hin­ter dem Süd­bahn­hof, begin­nt ja der etwas abschreck­ende Teil der ersten Runde: Die ewig lange Ger­ade nach Weise­nau, die man nach der Wende — die ja tat­säch­lich erst kurz vor der Auto­bahn ist — auf der anderen Straßen­seite wieder zurück­laufen darf. Das heißt ja auch, dass man vor allem stad­tauswärts immer schon sieht, wer alles schon zwei, drei Kilo­me­ter weit­er ist … Wenn man das aber mal ken­nt, ver­liert auch diese Ger­ade ihren Schreck­en. Und auf dem Rück­weg ist ja der Halb­marathon schon fast geschafft (nagut, drei, vier Kilo­me­terchen sind das auch noch). Wir blieben unserem Tem­po aber weit­er­hin treu. Klar, inwzsichen merk­te ich schon, dass die muskuläre Belas­tung stieg — über 16 Kilo­me­ter bin ich in diesem Jahr ja nur sehr sel­ten hin­aus­ge­laufen. Und da war ich inzwis­chen schon durch. Aber das Tem­po war noch immer gut zu laufen. Bei der let­zten Verpfle­gung vor dem Halb­marathon ver­lor ich Roland dann lei­der total — keine Ahnung, wo der abge­blieben ist.

Mir jeden­falls ging’s jet­zt richtig gut. Mein neuer Plan hieß jet­zt: Tem­po hal­ten, den — von mir als unver­mei­dlich erwarteten — Ein­bruch so lange wir möglich hin­auszögern. In der Tat kon­nte ich dann auf dem Beginn der zweit­en Runde das Tem­po sog­ar noch erhöhen: Jet­zt lag der Schnitt eher um die 5’10. Die Strecke wird ja in Mainz nach dem Passieren der Rhein­gold­halle immer schla­gar­tig leer: Von den 8021 Zielein­läufen in diesem Jahr ent­fall­en 6776 auf den Halb­marathon, nur 1245 laufen den Marathon (und davon wiederum sind ger­ade ein­mal 170 Frauen — beim Halb­marathon ist der Geschlechterun­ter­schied nicht ganz so krass). Auch auf der zweit­en Runde machte mir das Laufen noch viel Spaß. Jet­zt kam auch noch — psy­chol­o­gisch ganz vorteil­haft — hinzu, dass ich kon­tinuier­lich Läufer über­holte (mit Aus­nahme der frischen Staffel­läufer natür­lich, von denen sind einige an mir vor­bei gezo­gen). Da es imme noch so aus­geze­ich­net vor­ran ging, modi­izierte ich meinen Plan noch ein­mal. Vor­sor­glich (ohne wirk­lich davon überzeug zu sein) hat­te ich mor­gens noch 4 Ham­mergels mitgenom­men und in die Hose gesteckt. Die kamen jet­zt peu-a-peu zum Ein­satz. Das erste Gel irgend­wo bei Kilo­me­ter 24 oder 25, in Sichtweite der näch­sten Verpfle­gung. Denn für die Dinger braucht man ordentlich Wass­er. Davon hat­te ich­heute eh’ schon einiges geschluckt: Bei jed­er Verpfle­gungsstelle habe ich mir versorgt,die Hitze wollte ich nicht als Entschuldigung gel­ten lassen. Wo möglich, habe ichauch meine Mütze ins küh­le Nass (das war wirk­lich ver­gle­ich­sweise sehr kühl) getaucht und so meinen Kopf etwas abgekühlt — auch wenn das nie lange vorhält. Die Entschei­dung für den Gelein­satz war aber sehr richtig: Die DInger geben ein­fach noch ein­mal einen Schub — sie ermöglichen, wirk­lich das Let­zte aus den Muskeln her­auszu­holen.

Die Schleife durch Hes­sen, durch Kos­theim, finde ich ja immer sehr schön. Gut, viel Betrieb ist da nicht. Aber dafür läuft man auf kleineren Straßen durch die Wohnge­bi­eten. Und unheim­lich viele Anwohn­er sind im Vor­garten und feuern an. Oder spenden mit dem Wasser­schlauch eine kleine Dusche — bei mit­tler­weile gut 25 °C (und weit­er­hin wolken­losem Him­mel) eine sehr willkommene Abküh­lung. Der Rück­weg nach Mainz wurde mir dann aber recht lang: Die let­zte Wasser­sta­tion lag schon wieder zwei Kilo­me­ter zurück, ich hätte ein paar Schluck Feuchtigkeit ver­tra­gen. Dann auch noch der Anstieg auf die Theoor-Heuss-Brücke. Allein die Tat­sache, dass ich weit­er­hin über­holte, gab mir noch etwas Kraft. Hin­ter der Brücke fiel ich dann aber doch in ein kleines Loch: Jeztt wurde es richtig schw­er. Und bis zur Verpfle­gung bei Schott zog es sich — die Rheinallee ist da, mit den paar ver­s­teuten Läufern, auch nicht wirk­lich span­nend. Doch irgend­wie hielt ich durch, auch wenn ich schon mit dem Abbruch-Gedanken spielte.

Auf dem Werks­gelände kam dann das näch­ste Gel zum Ein­satz. Zum Glück spielte mein Magen mit: Die Ham­mergels — heute hat­te ich nur “Espres­so” dabei — schmeck­en zwar auch nicht beson­ders leck­er, sind für mich aber sehr gut verträglich. Trotz Energi­eschub durch Gl pen­delte sich der Schnitt wieder etwas tiefer ein — bzw. es wurde härter, das Tem­po hoch zu hal­ten. Die Schleife durch das Mom­bach­er Gewer­bege­bi­et ging dann über­raschend schnell herum — davor hat­te ich eigentlich mehr Angst. Mom­bach selb­st war dann ok, langsam ging es allerd­ings doch spür­bar an die Sub­stanz. Vor allem der Weg in die Alt­stadt zog sich jet­zt deut­lich mehr als auf der ersten Runde. Und das Tem­po sank Kilo­me­ter für Kilo­me­ter ein biss­chen — unaufhalt­sam, aber in kleinen Schrit­ten. In der Bauhausstraße dann schließlich das vierte Gel — bei Kilo­me­ter 39 eigentlch fast zu spät. Ich glaube aber, das war gar nicht schlecht. So hat­te ich näm­lich noch ordentlich Kraft und Pep die riesige Stei­gung von geschätzten zwei Metern der Lang­gasse hochzu­laufen und vor allem in Angesicht des großen Pub­likums nicht doch noch Geh­pausen ein­le­gen zu müssen. Und wenn man zum zweit­en Mal über den Guten­berg­platz ist, dann hat man es eigentlich geschafft — keine zwei Kilo­me­ter sind es dann noch. Noch schnell die Augutin­er­straße hin­unter, am Süd­bahn­hof dies­mal gle­ich links zurück zur Rhein­gold­halle. Der let­zte Kilo­me­ter, die schön lange Ziel­ger­ade, zieht sich natür­lich etwas. Aber hier ist man ja nicht allein. Und nach 3:49:32 war ich dann unter dem Ziel­bo­gen durch.

Jet­zt fing das wahre Lei­den aber erst an. Meine Beine waren nci­ht sehr damit ein­ver­standen, plöt­zlich nicht mehr in Bewe­gung zu sein. Ich blieb zwar beim Gehen, merk­te aber tortz­dem, dass die Muskeln völ­lig leer waren und von Schritt zu Schritt steifer wur­den. Und auch der REst des Kör­pers wusste offen­bar nicht so recht, was er mit der plöt­zlichen Änderung machen sollte. Ein Krug kaltes Wass­er über den Schädel tat ganz gut. Eigentlich wol­tle ich ja auch was trinken, aber das ging kaum noch. Wass­er kon­nte ich nich mehr sehen, Fru­bi­ase war jet­zt ein­fach nur eklig, Cola ging halb­wegs. Essen ging schon gar nicht … Da mein Baum­woll-T-Shirt und meine Hose ja von Schweiß und Wass­er trief­nass waren und ich im Ziel auch nie­mand Bekan­ntes traf, bin ich ziem­lich bald die paar Hun­dert Meter nach Hause stolziert. Dort wollte ich mich eigentlich nur mal kurz Hin­set­zen, die Kom­pres­sion­sstrümpfe auszuziehen. Jet­zt aber entsch­ied mein Kreis­lauf, dass er die Schnau­ze voll hat­te und sack­te erst ein­mal deut­lich weg. Ein paar Minuten später war ich dann weigstns wieder fit genug für die Dusche … Aber so richtig erholt war ich erst zwei Stun­den später wieder — und freue mich schon auf den sicher­lich mörderischen Muskelkater, den ich mor­gen haben werde .. Aber immer­hin gehörte ich nicht zu den dur­chaus zahlre­ichen Läufern, die im Kranken­wa­gen lan­de­ten — die Ret­tungs­di­en­ste hat­ten näm­lich heute so einigs zu tun.

Also: Marathon ohne entsprechen­des Train­ing geht dur­chaus mal. Ist aber auch — im Ver­gle­ich zur erlaufe­nen Zeit — ziem­lich anstren­gend …

Und noch ein paar Bilder:
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2 Kommentare

  1. Joachim

    Glück­wun­sch zur Quälerei!
    Und hat das Leuko­tape die Haut am Fuß gehal­ten?

    Gruß Joachim

    • matthias

      hi joachim,
      ja, das leuko­tape ist da sehr zuver­läs­sig. das abmachen nach dem lauf macht zwar wenig spaß, aber wo tape ist, entste­hen garantiert keine blasen …

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