Übers Laufen und was sonst so draußen passiert.

Schlagwort: amerika

Essen und Laufen

Eat & Run, CoverIst das ein Lauf­buch? Der Autor­name lässt es ver­muten: Scott Jurek ist ein­er der großen Ultra­läufer. Aber Eat & Run — der Titel ver­rät es ja schon — dreht sich nicht nur ums Laufen. Im Gegen­teil: Über weite Streck­en geht es vor allem ums Essen. Nicht ohne Grund ste­ht das im Titel vorne. Und zwar um das richtige Essen — näm­lich die veg­ane Ernährung. Jurek schildert aus­führlich seinen Weg von der “nor­malen” amerikanis­chen Kost des mit­tleren West­ens zur veg­an­is­chen Ernährung. Das geschieht bei ihm vor allem aus (schein­bar) gesund­heitlichen Grün­den und weil er meint zu beobacht­en, dass er sich damit bess­er fühlt. Zugle­ich pla­gen ihn aber auch lange und immer wieder die Zweifel, ob er mit veg­a­nen Lebens­mit­teln aus­ge­wogen, gesund und in allen Bere­ichen aus­re­ichend genährt ist, um Ultras zu laufen.

Schade, dass das eigentliche Laufen dann so eine ver­gle­ich­sweise kleine Rolle spielt. Sich­er, die großen Ereignisse sind drin — etwa sein über­raschen­der Sieg beim West­ern State 1999. Sein Kampf mit dem Bad­wa­ter, mit dem der von Steve Fried­man in eine angen­hem les­bare, dur­chaus span­nende und abwech­slungsre­iche Erzäh­lung gebrachte Text ein­set­zt. Was mir aber oft fehlte: Was Jurek beim Laufen eigentlich erlebt, wie er das Laufen erlebt und wahrn­immt. Hier geht es dage­gen oft um “Äußeres” — sein Train­ing, die Wet­tkämpfe, die Streck­en auch mal, das aber schon recht ober­fläch­lich oft.

Typ­isch für ein Lauf­buch, ger­ade von Ultra­läufern, ist aber ein wesentlich­er Aspekt: Die per­ma­nente Über­bi­etungslogik (hier aber gar nicht oder nur wenig reflek­tiert). Das muss immer noch etwas härter, noch etwas weit­er, steil­er, extremer und gefährlich­er sein. Bei Jurek kommt noch hinzu: Mit immer mehr Hand­i­cap gelaufen — zum Beispiel wie den Hardrock 100 mit ver­let­ztem Knöchel -, also immer mehr Schaden an Leib und Seele in Kauf nehmend. Aber für “tough men” ist das natür­lich gar kein Prob­lem, son­dern eine Her­aus­forderung. Viel weit­er reicht der Hor­i­zont Jureks hier nicht — schade eigentlich. Schade auch, dass er sich auf’s Gewin­nen beschränkt. Sein Scheit­ern spielt nur eine sehr kleine Rolle — die Auf­gabe beim UTMB 2008 ist ihm etwas nur einen hal­ben Satz wert und wird mit ein­er Ver­let­zung entschuldigt. Das ist etwas para­dox, weil er ger­ade zuvor seit­en­weise über seine hero­is­che Groß­tat, den Hardrock 100 schon ver­let­zt zu begin­nen, schrieb. Aber es passt in den Ein­druck, der sich bei mir immer mehr ver­stärk­te: Es geht ihm hier nicht ums Laufen, son­dern um das Gewin­nen — also um das Besiegen ander­er Läufer. Das passt nur wenig mit sein­er gerne beschwore­nen Beschei­den­heit zusam­men — ger­ade wenn es in Sätzen gipfelt wie:

No one wants to win more than I do. (154)

Ver­nun­ft und Ver­stand darf man hier aber generell nicht zu viel erwarten.

Bei manchen Din­gen reicht meine Geduld allerd­ings auch nicht: Zum Beispiel schreibt er lange und aus­führlich über die Idee, mit möglichst kleinem “impact” auf der Erde zu leben, also möglichst wenig bis gar keine Ressourcen zu ver­brauchen. Nur um dann wenige Seit­en später sich ganz selb­stver­ständlich ins Flugzeug zu set­zen, um ein paar Stun­den zum näch­sten Lauf zu fliegen, weil seine Moti­va­tion auf den “Haus­run­den” ger­ade im Keller ist. So etwas kapiere ich ein­fach nie …

Das klingt jet­zt alles recht neg­a­tiv — aber so richtig warm gewor­den bin ich mit Eat & Run eben nicht. Obwohl ich die Leis­tun­gen Jureks sehr schätze, blieb mir seine Hal­tung zum Laufen, wie sie sich hier zeigt, ein­fach fremd.

Scott Jurek with Steve Fried­man: Eat & Run. My unlike­ly Jour­ney to Ultra­ma­rathon Great­ness. Lon­don u.a.: Blooms­bury 2012. 260 Seit­en. ISBN 9781408833384

Finish

Tom McN­abs erstes Buch über den ersten amerikanis­chen Tran­skon­ti­nen­tal­lauf (Trans-Ameri­ka) habe ich mit großem Vergnü­gen gele­sen. Ges­pan­nt war ich daher auf seinen zweit­en Roman, der sich auch wieder um das Laufen und die Läufer dreht: Fin­ish. So ist zumin­d­est (para­dox) der deutsche Titel, im orig­i­nal heißt das tre­f­fend­er The Fast Men. Von den “Schnellen Läufern” (auch im Text mit großem S) ist immer wieder die Rede — die Män­ner (Frauen laufen hier nicht, sie unter­stützen nur mehr oder weniger brav ihre Helden), die es über­alle, in jed­er Stadt, jedem Gebi­et, jedem Staat, jedem Land gibt: Män­ner, die schneller laufen als die anderen.

Ange­siedelt in der zweit­en Hälfte des 19. Jahrhun­derts, im Wilden West­en Amerikas, dreht sich McN­abs Zweitling um eigentlich ein Trio von Läufern: Mori­ar­ty, schon etwas älter, mit Sportler­herz, aber immer noch mit Herzblut Läufer, Bil­ly Joe Speed und Buck Miller. Die treiben sich mit ihren Frauen bzw. Fre­undin­nen über­all in Ameri­ka und Eng­land herum, wo es etwas zu gewin­nen gibt. Und das gibt McNab reich­lich Stoff für viele wilde Episo­den. Denn genau das ist dieser Roman: Eine lange Rei­he von lose verknüpften Episo­den, die sich lose um das Laufen drehen. Aber eigentlich gar nicht in erster Lin­ie. In der Haupt­sache geht es um Aben­teuer, um Rast­losigkeit — und um Wet­ten. Gewet­tet wird auf alles und jeden, und ins­beson­dere Mori­ar­ty ist Meis­ter im Manip­ulieren von Wet­ten. Die Läufer, die prak­tis­cher­weise auch Schaus­piel­er sind, dienen als Anlass. Und wenn sie nicht gegeneinan­der laufen, dann sprin­gen sie eben. Oder besiegen ein Pferd. Oder Indi­an­er. Oder es geht um eine Art Boxkampf. Jeden­falls geht es nicht so sehr ums Laufen, um die Bewe­gung, um den Sport, son­dern vielmehr darum, ein Bild ein­er Gesellschaft zu ver­mit­teln, die als angenehm frei von Regeln und Zwän­gen dargestellt wird. Natür­lich sind die Pro­tag­o­nis­ten um Mori­a­try keine Bösewichte, obwohl sie ahnungslosen Mit­twet­tern mit üblen Tricks das Geld aus der Tasche ziehen. Natür­lich ist es irgend­wie erstrebenswert, so bindungs­los durchs Land zu ziehen — auch wenn am Ende die brave Eingliederung in Heirat und Sesshaftigkeit ste­ht: Aber eben erst nach der Phase des Aben­teuers, des wahren Mann-Seins.

Der deutsche Titel, Fin­ish — also “Schluss” -, bezieht sich übri­gens auf den let­zten Lauf, den das Trio untern­immt, bevor es die Sport- bzw. Wet­tkar­riere an den Nagel hängt. Das ist ein kom­pliziertes Wet­tren­nen mit drei Läufern und einem Pferd pro Mannschaft, das zwei Teams mehr oder weniger pro­fes­sioneller Läufer als Stel­lvertreter für Grundbe­sitzer aus­tra­gen und das bes­tim­men soll, wer die Wasser­rechte an ein­er Quelle bekommt/behält (die bei­den Viehzüchter eini­gen sich dann allerd­ings doch unab­hängig vom Aus­gang des Ren­nens …), mit dem der Roman dann auch reich­lich unver­mit­telt abbricht — der Epi­log bzw. der gesamte Schluss ist eine arg durch­sichtige, aufge­set­zte Kon­struk­tion, um ein Ende zu find­en (fast so etwas wie ein lieto fine, auch inhaltlich …).

Egal: Als Lauf­buch ist das lang­weilig, als Roman fand ich es auch nicht beson­ders span­nend und mitreißend. Tom McNab gelingt es nicht — was für so einen Episo­den­ro­man zen­tral wäre — glaub­würdi­ge, lebendi­ge Charak­tere zu entwer­fen, die Form hat entschei­dene Kon­struk­tion­ss­chwächen und die sprach­liche Gestalt kann da nicht hinüber weg tra­gen. Da gibt es bessere Beispiele (und deswe­gen gebe ich mein Exem­plar auch gerne wieder her …). Und sein Erstling Trans-Ameri­ka gehört dazu …

Tom McNab: Fin­ish. Berlin: Auf­bau 2011. 415 Seit­en. 9,99 Euro. ISBN 978–3‑7466–2739‑7.

Poulin/Swartz/Flaxel: Trail Running. From Novice to Master

Einen vielver­sprechen­den Titel trägt das Buch von Kirsten Poulin, Stan Swartz und Christi­na Flax­el: From Novice to Mas­ter. Wenn das auf den 175 Seit­en gelingt, wäre das ja schon viel … Natür­lich ist es nicht ganz so ein­fach, Laufen muss man eben immer auch trainieren, unab­hängig vom Unter­grund und der Umge­bung. Das ver­schweigt das Autoren­trio (immer­hin zwei Frauen!) auch nie. Denn dieses amerikanis­che “Lehrbuch” ist sehr gewis­senhaft und gründlich. Der Run­dum­schlag ums Trail­run­ning umfasst hier:

  • Intro­duc­tion to Trail Run­ning
  • Plan­ning a Run
  • Train­ing, Con­di­tion­ing, and Prepa­ra­tion
  • Recov­ery
  • Envi­ron­men­tal Fac­tors, Nav­i­ga­tion, and Safe­ty
  • Injury Pre­ven­tion and Treat­ment
  • Brin­ing it tot the Next Lev­el: Ultra­run­ning

Diess­er Blick ins Inhaltsverze­ich­nis zeigt, denke ich, auch sehr gut die Aus­rich­tung dieses Buch­es. Hier geht es nicht um tolle Läufe, um Laufer­leb­nisse oder Wet­tkampfer­fahrun­gen. Son­dern, wenn man so will, um die Basics, die das alles erst über­haupt möglich machen.

Lei­der war das Buch wohl etwas zu früh für den momen­ta­nen Trail-Boom. Und lei­der, lei­der ist es auch nur mit schwarzweiß-Pho­tos (aber dur­chaus guten) verse­hen — schade. Recht aus­führlich ist es in jedem Fall. Vor allem, was die Aus­rüs­tung, auch für extremere Läufe, ange­ht. Einge­hend berück­sichtigt wird etwa der Son­nen­schutz, der Ein­fluss von viel Wind, aber auch das Laufe im Schnee. Und wie in jedem Lauf­buch auch ein kurz­er Train­ingsleit­faden. Nicht fehlen darf beim Trail natür­lich die Lauftech­nik, wobei die Autoren sich hier etwas zurück­hal­ten und eher all­ge­meine Ratschläge geben. Das Bergauf- und Bergab-Laufen wird aber aus­führlich gewürdigt. Und auch das Fall­en: “A fall is an inevitable part of trail run­ning.” (72) — sehr schön.
Erstaunlich viel ste­ht hier dann auch zum Dehnen und zur Ernährung vor, während und nach dem Lauf.

Und etwas schlägt die amerikanis­che Per­spek­tive schon durch. Nicht nur bei der Flo­ra und Fau­na, son­dern z. B. auch beim Umgang des Läufers mit Wegen und der Angst vor Ero­sion — in “meinen” Laufre­vieren ist das eher weniger ein Prob­lem. Und wenn dann, ein durch die Bewirtschaf­tung und nicht durch die Läufer veur­sacht­es. Über­haupt bemühen sich die drei Autorin­nen sehr um einen ver­ant­wor­tungsvollen Umgang mit der Natur. Wieder­holt wird darauf hingewiesen, nichts mitzunehmen (außer Pho­tos) und nichts zu hin­ter­lassen (außer Fußspuren):

Always leave a nat­ur­al envi­ron­ment as you found it, and min­i­mize your impact. Take only pho­tographs and enjoy­able mem­o­ries of your run. Leave only foot­pringts. Nev­er lit­ter. Pack it in, pack it out, which means that any mate­ri­als you bring in should leave with you. (104)

Der schön­ste Tipp aber:

If you copme across mud pud­dles, snow patch­es, or wet spots, care­ful­ly run through them, not around them. Also, jump or step over any fall­en trees. Run­ning around them can cause trails to widen, increas­ing soil and veg­e­ta­tion dam­age. (104)

Ins­ge­samt: sehr durch­dacht und über­legt, mit dem klaren Ziel des kon­trol­lierten, risiko-min­imierten und Erleb­nis-max­imierten Trail-Laufs.

Kirsten Poulin, Stan Swartz, Christi­na Flax­el: Trail Run­ning. From Novice to Mas­ter. Fore­word by Mark Bur­nett. Seat­tle: The Moun­taineers Books 2002. 175 Seit­en. ISBN 0–89886-840–8.

Zu Fuß quer durch Amerika

Tom McNab hat mit “Trans-Ameri­ka” wahrschein­lich das beste Lauf­buch geschrieben. Wobei die Ein­stu­fung als “Lauf­buch” etwas schwierig ist, denn McNab hat ein­fach einen guten his­torischen Roman geschrieben. Dessen Sujet ist aber (zufäl­lig?) ein Lauf. Und nicht eben irgen­dein Lauf, son­dern der erste Tran­skon­ti­nen­tal­lauf der Geschichte, von Charles Flana­gan 1931 quer durch die USA. Das Laufen der über 5000 Kilo­me­ter lan­gen Strecke an sich ist aber nicht das Zen­trum dieses Buch­es, son­dern der soziale Rah­men, der Mikrokos­mos des Läufer-Tross­es, die sozialen Inter­ak­tio­nen inner­halb dieser eher zufäl­lig zusam­mengewür­fel­ten Gruppe und ihre Inter­ak­tio­nen mit dem Umfeld, dem Rest der Welt — einzeln und als Gruppe.

Der Trans-Ameri­ka-Lauf, den McNab hier beschreibt (er stützt sich lose auf ein real stattge­fun­denes Ren­nen, den Bunion Der­by von 1928), ist eine pro­fes­sionelle Ver­anstal­tung, die dem Prof­it des Unternehmers Charles C. Flana­gan dienen soll — über den Umweg der Unter­hatlung für die Zuschauer. Das Laufen ist also nicht ein Selb­stver­wirk­lichungstrip wie heute so oft. Die Prob­leme der Organ­ista­tion und der Läufer sind aber ähn­liche wie bei heuti­gen Unternehmungen diesen Kalibers, wobei die rein läuferische Bewäl­ti­gung dieser Strecke und die damit ver­bun­de­nen Prob­leme zwar vorkom­men, aber ins­ge­samt eine nachrangige Stel­lung ein­nehmen.

Der Lauf startet mit einem riesi­gen Starter­feld von über 2000 Läufern, das schnell aus­dün­nt, dann aber ziem­lich sta­bil bleibt und am Ende in New York noch fast 1000 Läufer umfasst, von denen einig zwis­chen­durch noch an obskuren Leich­tath­letik-Tunieren teil­nehmen, Boxwet­tkämpfe beste­hen oder gegen ein Ren­npferd antreten. Immer mit den entsprechen­den Wet­ten. Denn es geht vor allem ums Geld­ver­di­enen: Laufen als Geschäft — aber eben als Unter­hal­tungs­geschäft, für die Zuschauer und als Anlass für Wet­ten. Die Aus­rich­tugn war also eine andere als heute, die Per­spek­tive ver­schob sich. Das alles siedelt McNab in einem genialen Set­ting an — zur Zeit der Wirtschaft­skrise gibt es genug arme Schweine, die das als Stro­hhalm begreifen und die Gruppe der Läufer entsprechend bunt zusam­mengewür­felt erscheinen lassen. McNab fokussiert dabei erzäh­lerich auf eine kleine Gruppe an der Spitze: “Doc” Cole, “Iron Man” Mor­gan, Hugh McPhail, Lord Thurleigt — und die einzig Frau, die von Los Ange­les bis New York durch­hält, Kate Sheri­dan … Dazu mixt er ein wenig Romanze (zwis­chen Kate und Mor­gan, Flana­gans Sekretärin Dix­ie und Hugh). Geschickt set­zt er wech­sel­nde Foki zwis­chen Läufer und Ver­anstal­ter, Außen- und Innen­sicht durch Ein­beziehung der beglei­t­en­den Reporter und ihrer Veröf­fentlichun­gen ein, um gestal­ter­ische und inhaltliche Abwech­slung zu erzeu­gen. Das sportliche (oder wirtschaftliche) Ereig­nis wird noch dazu auch poli­tisch verknüpft — mit Edgar J. Hoover und seinem FBI, dem amerikanis­chen Präsi­den­ten und den Gew­erkschaften und so eini­gen wirtschaftlichen Intri­gen udn Hin­ter­hal­ten, die Flana­gan meis­tern muss — und mit Hil­fe der grandiosen Läufer und ihrer helden­haften Kam­er­ad­schaftlichkeit auch bewältigt.

Diese Mis­chung aus Intri­gen und Lieb­schaften, Sport, auch etwas Dop­ing (in der deutschen Mannschaft, mit Kokain und ähn­lichem), die Verbindung von Helden­tum und pro­sais­chem Überlebens-“Kampf”, das alles ergibt ein sehr, sehr buntes Tableau men­schlich­er Fähigkeit­en und Hand­lun­gen, die McNab geschickt miteinan­der verknüpft und in die große Rahmen­erzäh­lung, den langsam fortschre­i­t­en­den Lauf quer durch Ameri­ka, ein­bet­tet. Das klingt schon hier viel, und es ist auch viel. McNab hat das aber gut im Griff, seine Gestal­tung ist sehr abwech­slun­gre­ich, seine Phan­tasie ermöglicht ihm lebendi­ge Schilderun­gen der Szener­ie und der Geschehnisse, sein Stil ist halb­wegs ele­gant und flüs­sig zu lesen (auch wenn einige Härten drin ste­hen­bleibn, die teil­weise aber auch nach Über­set­zung­sprob­le­men ausse­hen). Und beim Lesen ver­gisst man dann gerne, dass das kom­plett fik­tiv ist. Der Roman gibt sich aber auch sehr geschickt (auch mit der “Nachbe­merkung”, die die weit­eren Kar­ri­eren der Haupt­fig­uren auflis­tet) den Anschein his­torisch­er Real­ität. Immer­hin gab es 1928 ja auch so etwas ähn­lich­es, das “Bunion Der­by”, von Charles C. Pyle auf der sel­ben Route aus­gerichtet — allerd­ings mit der real­is­tis­cheren Zahl von 275 Startern und lediglich 55 Fin­ish­ern.1

Tom McNab: Trans-Ameri­ka. Berlin: Auf­bau Taschen­buch 2010 (Auf­bau 2008). 551 Seit­en. ISBN 978–3‑7466–2584‑3.

  1. Einen knap­pen Aufriss der Geschichte dieses Laufes gibt es bei runningtimes.com: klick.

Durch die Wand — laufend

“Run­ning throug the wall” ist eine Samm­lung der Lauf-“Geschichten” einiger Ultra­läufer Amerikas, ihrer beson­ders prä­gen­den Erleb­nisse auf der Langstrecke und teil­weise auch ihrer Lauf­bi­ogra­phie: “I found out that if you spend enough time run­ning in the woods with an ultra­run­ner, you will hear a great ultra­run­ning sory. It’s inevitable.” (12) begrün­det der Her­aus­ge­ber sein Unternehmen. Meis­tens sind das kurze Texte, wenige Seit­en lang und bis auf einige Aus­nah­men auch ganz nett und flüs­sig zu lesen. Die Namen der hier Beteiligten sagen mir (naturgemäß, möchte ich sagen — ich kenne ja noch nicht mal viele deutsche Ultra­läufer-Namen) wenig bis gar nichts.

“Run­ning through the wall” ist dabei von sein­er Idee und Konzep­tion ein typ­is­ches Ultra-Buch, kön­nte man sagen: Geschicht­en von Läufern zum Anfix­en neuer Läufer. Immer getreu der alten Devise: Am meis­ten lernt man für Ultras von anderen Ultras, von Erfahrungs­bericht­en, von Laufgeschicht­en, von ersten Malen und beson­deren Erlebenis­sen auf der Strecke, von leicht­en und schw­eren Läufen, von abse­hbaren und erwarteten Prob­le­men. Für mich etwa immer wieder erstaunlich ist, wie viele bei ihren “Wet­tkämpfen” schon früh, d.h. nicht erst nach 80 oder 100 Kilo­me­tern, Prob­leme mit Blasen bekom­men … Und wie viele Hin­dernisse, persönliche/psychologische oder kör­per­liche, von den Läufern über­wun­den wer­den, für wie viele Laufen und die Ultras mehr als ein Sport, mehr als eine Freizeitbeschäf­ti­gung ist, son­dern — und das ist vielle­icht (aber nur vielle­icht) bei amerikanis­chen Läufern stärk­er aus­geprägt als bei deutschen — für wie viele mit dem Laufen Heilser­wartun­gen und Heilser­leb­nisse ganz eng ver­bun­den sind. Das hat mich etwas über­rascht.

Natür­lich gibt es auch hier ein­fach ver­rück­te Spin­ner, etwa die bei­den Bezwinger des Barkley-Laufes — ein Lauf, der darauf angelegt ist, nicht lauf­bar zu sein, zumin­d­est nicht in der vollen Länge — das über­steigt dann doch meinen Hor­i­zont: Warum sollte ich einen Lauf begin­nen (noch dazu mit mehreren Run­den), der expliz­it und über­haupt nicht gelaufen wer­den will? Die starke Extrem­isierung des Laufens hier hängt natür­lich auch damit ab, dass das alles (?) Amerikan­er sind, die nicht “nur” 100 Kilo­me­ter, son­dern gle­ich 100 Meilen laufen “müssen” (eine Strecke, die ja in Deutsch­land auch ger­ade in Mode kommt — für die ganz Harten …) — das ist schon noch ein­mal eine andere Haus­num­mer. Und 50er (egal ob Kilo­me­ter oder Meilen) spie­len hier nur eine erstaunlich geringe Rolle, sie kom­men sozusagen nur als Ein­stiegs­droge oder Train­ingslauf vor. Immer wieder wird genau das auch betont: Die “Härte” — des Laufes und sein­er Bezwinger. Es geht, so scheint es in der Zusam­men­schau, nicht immer und nicht so sehr um das Laufen oder gar den Genuss dessen, son­dern um das Über­winden von Härten, das Über-sich-selb­st-Hin­aus­ge­hen, die beson­dere, außergewöhn­liche Härte (!) der Trails, der Strecke, des Kurs­es mit ein­er manch­mal dur­chaus masochis­tisch erscheinen­den Lust an der beson­deren Qual der beson­ders lan­gen Strecke in beson­ders unwegsamen Gelände … Da wird dann auch auf­fäl­lig (zumin­d­est für mich) oft der Gebrauch von Medika­menten während des Laufes/Wettkampfes in Kauf genom­men.

Wie bei jedem echt­en Ultra­läufer­buch spie­len natür­lich auch die Mitläufer, die Ultra­szene eine gewisse Rolle. Und wie eigentlich immer ist es auch hier die Fre­undlichkeit der “Ultra­ge­meinde”, die immer wieder betont wird: Wet­tkampf, auch Konkur­renz ja, aber mit Lächeln und gegen­seit­iger Unter­stützung (zumin­d­est ein biss­chen, so lange es nicht um den Sieg geht …).

Let­z­tendlich war mir das als Buch aber ein wenig zu viel: Die Rei­hung von 39 Tex­ten zeigt, wie sehr sich viele Läufer­bi­ogra­phien ähneln kön­nen — und das Erleben der 100-Meil­er auch (einem guten Start fol­gen Schmerz und Müdigkeit, die Gedanken ans Aufgeben, die vom Willen zum Durch­hal­ten über­wun­den wer­den und schließlich das Fin­ish als Antik­li­max …) — wie gle­ich das Erleb­nis (Ultra-)Laufen für die aller­meis­ten Beteiligten sich darstellt. Gefehlt haben mir im Buch vor allem ein paar mehr Infor­ma­tio­nen über die Läufe selb­st — die kenne ich ja alle nicht per­sön­lich (von eini­gen hat­te ich immer­hin schon mal gehört), so dass ein paar Basis­in­for­ma­tio­nen mir da dur­chaus weit­er geholfen hät­ten. Und den Amerikan­ern sicher­lich auch, schließlich soll das ja ein Buch sein, dass sich nicht auss­chließlich an Ultra­läufer richtet.

Und jet­zt zum Schluss noch ein paar fast willkür­liche Zitate, die ich oben nicht unterge­bracht habe:

“ ‘What do you do with your mind when you’re run­ning a hun­dred mile?’ With­out hes­i­ta­tion, I replied, ‘Ignore it.’ ” (20)
“So many times you want to give up, but you can­not. That’s what ultra­run­ning is all about. That’s what life is all about.” (131)
“Ultras are more of a com­pe­ti­tion between me, myself, the course, and the dis­tance. Ultra­run­ning pits my mind against my body.” (167)
“I think ultra­run­ners must have a very poor mem­o­ry or no one would ever do anto­her race. You tend to for­get the pain and mis­ery and only remem­ber the thrill of accom­plish­ment.” (195) — das stimmt freilich: “Schmerz verge­ht, Stolz bleibt” heißt es in Deutsch­land.

Neal Jami­son (Hrsg.): Run­ning Through the Wall: Per­son­al Encoun­ters with the Ultra­ma­rathon. Hal­cottsville, NY: Break­away Books 2003. 288 Seit­en. ISBN 978–1‑89136937–7 (inzwis­chen schon in der 10. Auflage).

der ultramarathonmann

als vor­bere­itung auf den rennsteig-super­marathon sozusagen schon ein­mal passende lek­türe: dean kar­nazes’ ultra­ma­rathon­man. aus dem leben eines 24-stun­den-läufers (riva 2008). einige beein­druck­ende lauf­schilderun­gen ver­sam­melt er dort, vor allem die erfahrung seines ersten offiziellen ultras, des 100 meilen-laufes west­ern states endurance. danach wird’s dann etwas, nun­ja, ver­rückt: bad­wa­ter halte ich ja schon für gren­zw­er­tig, aber einen marathon zum süd­pol — das ist schon etwas selt­sam. und es hat ja selb­st für solche läufer nur mit biegen und brechen funk­tion­iert. anson­sten ganz nettes büch­lein (lei­der nicht sehr inspierend über­set­zt — höhenangaben in fuß helfen mir nicht sehr viel …), das immer wieder um den gedanken kreist, warum men­schen eigentlich solche extreme dinge tun. und das vor allem so ehrlich ist, darauf keine wirk­liche antwort zu haben. angenehm auch, dass er rein auf sich selb­st fix­iert bleibt: platzierun­gen und ergeb­nisse spie­len (fast) gar keine rolle: hier — zumin­d­est in dem buch — geht es kar­nazes um das erleb­nis des laufens, die erfahrung der über­win­dung aller möglichen schmerzen …

so einiges wahres ste­ht da drin: “Laufen bedeutete in erster Lin­ie: raus­ge­hen und Erfahrun­gen sam­meln. Ich sah, wie Gebäude ent­standen, wie die Vögel nach Süden zogen, un ich Wech­sel der Jahreszeit­en sah ich die Blät­ter fall­en und die Tage kürz­er wer­den” (s. 30) — es ist im prinzip banal und so ziem­lich jed­er läufer hat dies wohl schon bemerkt. aber es stimmt. naja, von der art gibt es eine menge beobach­tun­gen und mei­n­un­gen hier.

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