Übers Laufen und was sonst so draußen passiert.

Schlagwort: biologie

Optimiertes Laufen

Der Unter­ti­tel sagt alles: “Medi­zinis­che Tips zur biol­o­gis­chen Leis­tungsverbesserung”. Im Kern geht es hier also um alles, was beim Laufen beteiligt ist: Knochen, Bän­der, Muskeln, von den Zehen bis zur Wirbel­säule. Das alles wird — medi­zinisch — vorg­stellt und erläutert in Teil II: “Anatomie und Bio­mechanik des Laufens”. Teil III behan­delt dann “Fehler” in diesem Sys­tem unter der Über­schrift “Leis­tungslim­i­tierende biol­o­gis­che Gegeben­heit­en” — solche Dinge wie Fußfehlstel­lun­gen, verküzrte Muskeln etc. wer­den hier abge­han­delt. Teil IV ist dann noch inter­es­san­ter für den aktiv­en Läufer: “Häu­fig­ste Über­las­tung­sprob­leme mit Check­liste zur Selb­sterken­nt­nis”. Teil V schließlich behan­delt im let­zten Drit­tel die eigentliche Leis­tung­sop­ti­mierung — das reicht von den Lauf­schuhen über die Ther­moreg­u­la­tion (sehr aus­führlich) bis hin zur “Train­ingss­teuerung nach biol­o­gis­chm Para­me­ter”, die dann erstaunlich knapp aus­fällt. Über­haupt ist dieses Buch nicht nur stark auf so etwas wie “Selb­st­be­hand­lung” oder “Selb­ster­fahrung” des Kör­pers aus­gelegt, son­dern vor allem sehr knapp und über­sichtlich — eher zum Nach­schla­gen als zum Lesen. Und eher für den medi­zinisch-tech­nis­chen Teil des Laufens zu gebrauchen als für eine wirk­liche Train­ingss­teuerung — das bleibt sehr obe­fläch­lich und all­ge­mein. Für Besitzer der “Lore of Run­ning” kein unbe­d­ingt notwendi­ges Buch …

Božo Petracić, Franz Joachim Röttger­mann, Kurt-Chris­t­ian Traenck­n­er: Opti­miertes Laufen. Medi­zinis­che Tips zur biol­o­gis­chen Leis­tungsverbesserung. 3. Auflage. Aachen: Mey­er und Mey­er 2000. 139 Seit­en. ISBN 3–89124-390–1.

Leidenschaft Laufen

“Nichts ist so edel, tief und irra­tional wie unser Laufen — und nichts so wild und urtüm­lich.” (24)

So schreibt es Bernd Hein­rich, (Ultra-)Marathoni und Biologe. Er hat eines der besten Büch­er über seine bei­den Lei­den­schaften geschrieben: Die Natur­welt und das Laufen. So heißt es auch: “Laufen. Geschichte ein­er Lei­den­schaft”. Und der Unter­ti­tel trifft es sehr genau: Denn um Lei­den­schaften geht es hier. Nicht nur um das Laufen als Sport, als Fort­be­we­gungs­form oder als Wet­tkampf, son­dern auch um Biolo­gie und ihre Läufer, die Käfer zum Beispiel, oder auch andere Aus­dauer-Tiere wie die Zugvögel. Denn Hein­rich ist nicht nur Marathon- und Ultra­läufer erster Klasse (Anfang der 80er lief er US-Reko­rde über 100 Kilo­me­ter (in 6:38:21) und im 24-Stun­den-Lauf z.B., hat auch einige gute Marathon-Zeit­en deut­lich unter 2:30 erlaufen), son­dern auch Biologe — offen­bar genau­so mit Leib und Seele, wie er das Laufen ver­fol­gt …

Der biol­o­gisch gebildete und geschulte Hin­ter­grund diese Läufers macht sich also bemerk­bar. Und zwar auf sehr angenehme Weise. Schon die erste Schilderung eines Mor­gen­laufes ist phan­tastisch (wahrhaftig!) — nicht nur, was er alles sieht — das ist offen­bar Mon­tage viel­er, jahre­langer Läufe — son­dern auch die Genauigkeit nicht nur des Erkennes & Beobacht­ens, son­dern auch des Ken­nens und Benen­nens — da merkt man den Natur­wis­senschaftler sehr deut­lich … Aber das ist trotz­dem (oder ger­ade deswe­gen) so anschaulich beschrieben, dass man den Läufer und seine Umge­bung wirk­lich vor sich sieht. Und am lieb­sten sofort auf­brechen möchte, genau so zu laufen — aber draußen reg­net es ger­ade, also lieber noch etwas weit­er lesen.

Ich füh­le mich gut und spüre, wie mir frische Kräfte erwach­sen durch die Erwartung der Dinge, die hin­ter der näch­sten Biegung mein­er har­ren, durch die Erin­nerung an frühere Läufe und gele­gentlich auch durch die Vor­freude auf ein Wet­tren­nen in der Zukun­ft. (18)

Hein­rich verquickt hier sehr schön seine per­sön­liche Lauf­bi­ogra­phie bis zu ihrem Höhep­unkt, den US-Meis­ter­schaften im 100-Kilo­me­ter-Lauf in Chica­go 1981 mit biologischen/physiologischen Beobach­tun­gen und Erken­nt­nis­sen zum Aus­dauer­sport. Davon, von dem Wet­tkampf und seinen Vor­bere­itun­gen, aus­ge­hend blickt er zurück bis in seine frühe Kind­heit in Deutsch­land und Ameri­ka, seine frühe Begeis­terung für das Laufen draußen in der Natur und sogle­ich auch die Beobach­tung dieser Natur, seine ver­schiede­nen Ansätze, Laufen als Sport zu betreiben. Und dazwis­chen und mit­ten­drin ganz viel (für mich) Span­nen­des und Inter­es­santes aus der Tier­welt — über Zugvögel, Insek­ten, Hominiden, Gabel­böcke und Ziegen oder Gepar­den gle­icher­maßen. Immer unter dem Aspekt: Wie schaf­fen es diese Arten, ihre beson­deren Fähigkeit­en hin­sichtlich der Fort­be­we­gung so zu erbrin­gen, welche Voraus­set­zun­gen bilde­ten sie im Laufe der Evo­lu­tion für große Aus­dauer- oder kurze Hochgeschwindigkeit­sleis­tun­gen aus. Und Hein­rich, der bei Insek­ten auch auf diesem Gebi­et als Biologe geforscht hat, ver­sucht dann, dieses Wis­sen auf den men­schlichen Läufer zu über­tra­gen, zum Beispiel seine Energiev­er­sorgung vor und während des Ultra­laufes nach diesen Erken­nt­nis­sen zu gestal­ten (er benutzte dann bei seinem 100er auss­chließlich Preisel­beer­saft …). Und als Neben­pro­dukt fällt ein schön­er Ver­gle­ich der bei­den Muskelfaser­typen ab:

Ein anaer­ober FT-Muskel [Fast Twicht­ing] braucht keine Vork­er­hun­gen für eine rasche Ver­sorgung mit Sauer­stoff oder Brennstoff, für den Abtrans­port von Abfall­stof­fen und für Tem­per­atur­reg­ulierung. Er ist wie ein Ren­nau­to, das dafür gebaut ist, sehr schnell über die Strecke zu jagen, und daher ganz anders aussieht als ein Wohn­mo­bil, das man für eine Wüs­ten­durch­querung herg­erichtet hat. (89)

Hein­rich selb­st hat das Laufen wohl, so schildert er es, sein ganzes Leben mit Lust betrieben — als Kind in Deutsch­land genau­so wie im Inter­nat in Ameri­ka, wo er dann auch zum Cross-Läufer wird. Auch am Col­lege lan­det er bei den Läufern, trotz ver­schieden­er Ver­let­zun­gen. Und später wird er dann fast neben­bei zum Marathoni mit ein­er Zeit von 2:25.

Ab dem 15. Kapi­tel geht es dann auf die Ziel­ger­ade: Der 100er von Chica­go rückt jet­zt endgültig in den Fokus: Das Train­ing, die Vor­bere­itung, die Ernährung und der eigentliche Lauf als Schlusssprint wer­den ver­gle­ich­sweise knapp dargestellt. Sehr sym­pa­thisch aber auch die dezi­dierte Anti-Helden-Hal­tung Hein­richs, der seine Leis­tung nicht großar­tig her­ausstellt, son­dern auch die Ziele ander­er Läufer immer wieder betont. Ganz wesentlich ist aber auch: Laufen ist immer ein Freude, eine Lei­den­schaft, ein Genuss — auch wenn es mal wehtut, die Beloh­nung durch und im Erleben der Erfahrun­gen des Laufens und des Läufers wiegen den Schmerz mit Leichtigkeit wieder auf.

Ins­ge­samt also: Ganz klar eines der schön­sten Büch­er über das Laufen, das ich kenne. Wahrschein­lich, weil das eigentliche Laufen an sich (des Men­schen) gar nicht so sehr im Vorder­grund ste­ht. Son­dern eher die Begeis­terung für die laufende Fort­be­we­gung. Oder, noch all­ge­mein­er, die Begeis­terung über aus­dauernde Ent­fer­nungsüber­brück­un­gen, egal wie oder durch wen — so lange es mit eigen­er Kör­perkraft und ohne tech­nis­che Hil­f­s­mit­tel geschieht. Noch dazu ein kluges, sym­pa­this­ches, über­haupt nicht ange­berisches Buch. Absolute Leseempfehlung!

Bernd Hein­rich: Laufen. Geschichte ein­er Lei­den­schaft. München: List Taschen­buch 2005. 349 Seit­en. ISBN 978–3‑548–60564‑7.

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