Übers Laufen und was sonst so draußen passiert.

Schlagwort: roman

Waldlauf

… ich ver­suche mich an den Wald­lauf zu erin­nern, den ich in der Früh gemacht habe. Die Ruhe, das monot­o­ne Auf­set­zen der Füße. Ab und zu die Arme schlenkern, ganz lock­er. Tief dur­chat­men, das langsame Erhitzen des Kör­pers. Die vol­lkommene Leere im Kopf. Die Augen erfassen den Boden, die Baum­stämme. Im Laufen tanzen die Bäume vor den Augen, ich laufe, bis die Land­schaft vor meinen Augen auf- und abhüpft, wie ein ver­rück­tes Fernse­hbild … Urs Jaeg­gi, Bran­deis, 10f.

Zu Fuß quer durch Amerika

Tom McNab hat mit “Trans-Ameri­ka” wahrschein­lich das beste Lauf­buch geschrieben. Wobei die Ein­stu­fung als “Lauf­buch” etwas schwierig ist, denn McNab hat ein­fach einen guten his­torischen Roman geschrieben. Dessen Sujet ist aber (zufäl­lig?) ein Lauf. Und nicht eben irgen­dein Lauf, son­dern der erste Tran­skon­ti­nen­tal­lauf der Geschichte, von Charles Flana­gan 1931 quer durch die USA. Das Laufen der über 5000 Kilo­me­ter lan­gen Strecke an sich ist aber nicht das Zen­trum dieses Buch­es, son­dern der soziale Rah­men, der Mikrokos­mos des Läufer-Tross­es, die sozialen Inter­ak­tio­nen inner­halb dieser eher zufäl­lig zusam­mengewür­fel­ten Gruppe und ihre Inter­ak­tio­nen mit dem Umfeld, dem Rest der Welt — einzeln und als Gruppe.

Der Trans-Ameri­ka-Lauf, den McNab hier beschreibt (er stützt sich lose auf ein real stattge­fun­denes Ren­nen, den Bunion Der­by von 1928), ist eine pro­fes­sionelle Ver­anstal­tung, die dem Prof­it des Unternehmers Charles C. Flana­gan dienen soll — über den Umweg der Unter­hatlung für die Zuschauer. Das Laufen ist also nicht ein Selb­stver­wirk­lichungstrip wie heute so oft. Die Prob­leme der Organ­ista­tion und der Läufer sind aber ähn­liche wie bei heuti­gen Unternehmungen diesen Kalibers, wobei die rein läuferische Bewäl­ti­gung dieser Strecke und die damit ver­bun­de­nen Prob­leme zwar vorkom­men, aber ins­ge­samt eine nachrangige Stel­lung ein­nehmen.

Der Lauf startet mit einem riesi­gen Starter­feld von über 2000 Läufern, das schnell aus­dün­nt, dann aber ziem­lich sta­bil bleibt und am Ende in New York noch fast 1000 Läufer umfasst, von denen einig zwis­chen­durch noch an obskuren Leich­tath­letik-Tunieren teil­nehmen, Boxwet­tkämpfe beste­hen oder gegen ein Ren­npferd antreten. Immer mit den entsprechen­den Wet­ten. Denn es geht vor allem ums Geld­ver­di­enen: Laufen als Geschäft — aber eben als Unter­hal­tungs­geschäft, für die Zuschauer und als Anlass für Wet­ten. Die Aus­rich­tugn war also eine andere als heute, die Per­spek­tive ver­schob sich. Das alles siedelt McNab in einem genialen Set­ting an — zur Zeit der Wirtschaft­skrise gibt es genug arme Schweine, die das als Stro­hhalm begreifen und die Gruppe der Läufer entsprechend bunt zusam­mengewür­felt erscheinen lassen. McNab fokussiert dabei erzäh­lerich auf eine kleine Gruppe an der Spitze: “Doc” Cole, “Iron Man” Mor­gan, Hugh McPhail, Lord Thurleigt — und die einzig Frau, die von Los Ange­les bis New York durch­hält, Kate Sheri­dan … Dazu mixt er ein wenig Romanze (zwis­chen Kate und Mor­gan, Flana­gans Sekretärin Dix­ie und Hugh). Geschickt set­zt er wech­sel­nde Foki zwis­chen Läufer und Ver­anstal­ter, Außen- und Innen­sicht durch Ein­beziehung der beglei­t­en­den Reporter und ihrer Veröf­fentlichun­gen ein, um gestal­ter­ische und inhaltliche Abwech­slung zu erzeu­gen. Das sportliche (oder wirtschaftliche) Ereig­nis wird noch dazu auch poli­tisch verknüpft — mit Edgar J. Hoover und seinem FBI, dem amerikanis­chen Präsi­den­ten und den Gew­erkschaften und so eini­gen wirtschaftlichen Intri­gen udn Hin­ter­hal­ten, die Flana­gan meis­tern muss — und mit Hil­fe der grandiosen Läufer und ihrer helden­haften Kam­er­ad­schaftlichkeit auch bewältigt.

Diese Mis­chung aus Intri­gen und Lieb­schaften, Sport, auch etwas Dop­ing (in der deutschen Mannschaft, mit Kokain und ähn­lichem), die Verbindung von Helden­tum und pro­sais­chem Überlebens-“Kampf”, das alles ergibt ein sehr, sehr buntes Tableau men­schlich­er Fähigkeit­en und Hand­lun­gen, die McNab geschickt miteinan­der verknüpft und in die große Rahmen­erzäh­lung, den langsam fortschre­i­t­en­den Lauf quer durch Ameri­ka, ein­bet­tet. Das klingt schon hier viel, und es ist auch viel. McNab hat das aber gut im Griff, seine Gestal­tung ist sehr abwech­slun­gre­ich, seine Phan­tasie ermöglicht ihm lebendi­ge Schilderun­gen der Szener­ie und der Geschehnisse, sein Stil ist halb­wegs ele­gant und flüs­sig zu lesen (auch wenn einige Härten drin ste­hen­bleibn, die teil­weise aber auch nach Über­set­zung­sprob­le­men ausse­hen). Und beim Lesen ver­gisst man dann gerne, dass das kom­plett fik­tiv ist. Der Roman gibt sich aber auch sehr geschickt (auch mit der “Nachbe­merkung”, die die weit­eren Kar­ri­eren der Haupt­fig­uren auflis­tet) den Anschein his­torisch­er Real­ität. Immer­hin gab es 1928 ja auch so etwas ähn­lich­es, das “Bunion Der­by”, von Charles C. Pyle auf der sel­ben Route aus­gerichtet — allerd­ings mit der real­is­tis­cheren Zahl von 275 Startern und lediglich 55 Fin­ish­ern.1

Tom McNab: Trans-Ameri­ka. Berlin: Auf­bau Taschen­buch 2010 (Auf­bau 2008). 551 Seit­en. ISBN 978–3‑7466–2584‑3.

  1. Einen knap­pen Aufriss der Geschichte dieses Laufes gibt es bei runningtimes.com: klick.

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