“Running throug the wall” ist eine Sammlung der Lauf-“Geschichten” einiger Ultraläufer Amerikas, ihrer besonders prägenden Erlebnisse auf der Langstrecke und teilweise auch ihrer Laufbiographie: “I found out that if you spend enough time running in the woods with an ultrarunner, you will hear a great ultrarunning sory. It’s inevitable.” (12) begründet der Herausgeber sein Unternehmen. Meistens sind das kurze Texte, wenige Seiten lang und bis auf einige Ausnahmen auch ganz nett und flüssig zu lesen. Die Namen der hier Beteiligten sagen mir (naturgemäß, möchte ich sagen — ich kenne ja noch nicht mal viele deutsche Ultraläufer-Namen) wenig bis gar nichts.
“Running through the wall” ist dabei von seiner Idee und Konzeption ein typisches Ultra-Buch, könnte man sagen: Geschichten von Läufern zum Anfixen neuer Läufer. Immer getreu der alten Devise: Am meisten lernt man für Ultras von anderen Ultras, von Erfahrungsberichten, von Laufgeschichten, von ersten Malen und besonderen Erlebenissen auf der Strecke, von leichten und schweren Läufen, von absehbaren und erwarteten Problemen. Für mich etwa immer wieder erstaunlich ist, wie viele bei ihren “Wettkämpfen” schon früh, d.h. nicht erst nach 80 oder 100 Kilometern, Probleme mit Blasen bekommen … Und wie viele Hindernisse, persönliche/psychologische oder körperliche, von den Läufern überwunden werden, für wie viele Laufen und die Ultras mehr als ein Sport, mehr als eine Freizeitbeschäftigung ist, sondern — und das ist vielleicht (aber nur vielleicht) bei amerikanischen Läufern stärker ausgeprägt als bei deutschen — für wie viele mit dem Laufen Heilserwartungen und Heilserlebnisse ganz eng verbunden sind. Das hat mich etwas überrascht.
Natürlich gibt es auch hier einfach verrückte Spinner, etwa die beiden Bezwinger des Barkley-Laufes — ein Lauf, der darauf angelegt ist, nicht laufbar zu sein, zumindest nicht in der vollen Länge — das übersteigt dann doch meinen Horizont: Warum sollte ich einen Lauf beginnen (noch dazu mit mehreren Runden), der explizit und überhaupt nicht gelaufen werden will? Die starke Extremisierung des Laufens hier hängt natürlich auch damit ab, dass das alles (?) Amerikaner sind, die nicht “nur” 100 Kilometer, sondern gleich 100 Meilen laufen “müssen” (eine Strecke, die ja in Deutschland auch gerade in Mode kommt — für die ganz Harten …) — das ist schon noch einmal eine andere Hausnummer. Und 50er (egal ob Kilometer oder Meilen) spielen hier nur eine erstaunlich geringe Rolle, sie kommen sozusagen nur als Einstiegsdroge oder Trainingslauf vor. Immer wieder wird genau das auch betont: Die “Härte” — des Laufes und seiner Bezwinger. Es geht, so scheint es in der Zusammenschau, nicht immer und nicht so sehr um das Laufen oder gar den Genuss dessen, sondern um das Überwinden von Härten, das Über-sich-selbst-Hinausgehen, die besondere, außergewöhnliche Härte (!) der Trails, der Strecke, des Kurses mit einer manchmal durchaus masochistisch erscheinenden Lust an der besonderen Qual der besonders langen Strecke in besonders unwegsamen Gelände … Da wird dann auch auffällig (zumindest für mich) oft der Gebrauch von Medikamenten während des Laufes/Wettkampfes in Kauf genommen.
Wie bei jedem echten Ultraläuferbuch spielen natürlich auch die Mitläufer, die Ultraszene eine gewisse Rolle. Und wie eigentlich immer ist es auch hier die Freundlichkeit der “Ultragemeinde”, die immer wieder betont wird: Wettkampf, auch Konkurrenz ja, aber mit Lächeln und gegenseitiger Unterstützung (zumindest ein bisschen, so lange es nicht um den Sieg geht …).
Letztendlich war mir das als Buch aber ein wenig zu viel: Die Reihung von 39 Texten zeigt, wie sehr sich viele Läuferbiographien ähneln können — und das Erleben der 100-Meiler auch (einem guten Start folgen Schmerz und Müdigkeit, die Gedanken ans Aufgeben, die vom Willen zum Durchhalten überwunden werden und schließlich das Finish als Antiklimax …) — wie gleich das Erlebnis (Ultra-)Laufen für die allermeisten Beteiligten sich darstellt. Gefehlt haben mir im Buch vor allem ein paar mehr Informationen über die Läufe selbst — die kenne ich ja alle nicht persönlich (von einigen hatte ich immerhin schon mal gehört), so dass ein paar Basisinformationen mir da durchaus weiter geholfen hätten. Und den Amerikanern sicherlich auch, schließlich soll das ja ein Buch sein, dass sich nicht ausschließlich an Ultraläufer richtet.
Und jetzt zum Schluss noch ein paar fast willkürliche Zitate, die ich oben nicht untergebracht habe:
“ ‘What do you do with your mind when you’re running a hundred mile?’ Without hesitation, I replied, ‘Ignore it.’ ” (20)
“So many times you want to give up, but you cannot. That’s what ultrarunning is all about. That’s what life is all about.” (131)
“Ultras are more of a competition between me, myself, the course, and the distance. Ultrarunning pits my mind against my body.” (167)
“I think ultrarunners must have a very poor memory or no one would ever do antoher race. You tend to forget the pain and misery and only remember the thrill of accomplishment.” (195) — das stimmt freilich: “Schmerz vergeht, Stolz bleibt” heißt es in Deutschland.
Neal Jamison (Hrsg.): Running Through the Wall: Personal Encounters with the Ultramarathon. Halcottsville, NY: Breakaway Books 2003. 288 Seiten. ISBN 978–1‑89136937–7 (inzwischen schon in der 10. Auflage).