Übers Laufen und was sonst so draußen passiert.

laufen. und laufen. oder doch lieber laufen?

du läuf­st.

irgend­wann fängst du an, die tage zu zählen: 10, 20, 50, 100 — da ist schon das erste viertel­jahr geschafft.

du läuf­st durch den pras­sel­nden hagel und den leise nieder­riesel­nden schnee. du freust dich über die weiße pracht. das laufen durch ver­schneite wälder am frühen nach­mit­tag. du holst die stirn­lampe her­vor und rennst sog­ar im dunkeln durch den wald und scheuchst dabei das spär­liche wild und dessen jäger auf. du lässt dich für ver­rückt erk­lären, weil du nach einem lan­gen skitag auch noch die lauf­schuhe her­vorkramst. du stolperst über wurzeln und steine. du rutscht auf eis­plat­ten aus und schlägst dir die hände blutig. du beobacht­est, wie der schnee schwindet und auch die let­zten schat­ten­löch­er wieder braun und grün wer­den.

du siehst, wie die sämaschi­nen über die äck­er rumpeln. wie die ersten weizenkeim­linge sprießen. du siehst den mais wach­sen. das gras grü­nen und wieder welk wer­den. du ziehst immer weniger zum laufen an. du nimmst immer mehr wass­er mit. du wirst braun wie ein neger — aber nur an armen und beinen. du zer­läuf­st in der hitze der hund­stage. aber du läuf­st.

du lauschst den tropfen auf dem blät­ter­dach und dem murmeln des bäch­leins, dass sich durch die wiesen und wei­den schlän­gelt. du lässt dich von den kühen, schafen, ziegen und pfer­den teil­nahm­s­los anglotzen.

du sieht die mäh­dresch­er und bald auch die rüben­vollern­ter übers land ziehen. du ärg­erst dich über die staub­fah­nen, die von den aus­getrock­neten feldern über dich wehen. du freust dich über jedes laue lüftchen. du siehst die wälder gelb und rot wer­den und entzückst dich an dem son­nen­licht, das durch den bun­ten herb­st­wald strahlt. du beobacht­est, wie der wein gele­sen wird. du siehst die blät­ter fall­en und eine wun­der­bar rutschige schicht auf den wald­we­gen bilden. du spürst die herb­st­winde wehen. du merkst, wie selb­st der rhein aus­trock­net und die kies­bänke aus den fluten auf­tauchen. und du siehst immer wieder die schiffe vor­beiziehen — manche über­holst du, viele ziehen an dir vor­bei.

du lässt dich auch von dem regelmäßi­gen knirschen dein­er eige­nen füße auf dem sandweg nicht ver­rückt machen, son­dern find­est nach zehn oder zwanzig kilo­me­tern einen ganz neuen schwe­bezu­s­tand der wahrnehmung. du goutierst sog­ar das stun­den­lange getrap­pel von mehreren dutzend füßen auf asphalt, dass dich am son­ntag­mor­gen begleit­et.

du freust dich über die nebelschwaden am rhein. du merkst auf ein­mal, dass der herb­st schon fast vorüber ist, wenn du die lan­gen laufho­sen aus dem schrank kramst. du hörst sam­stags die motorsä­gen im wald heulen und die äxte klir­rend auf die spaltkeile tre­f­fen. du riechst den wun­der­baren geruch des frisch geschla­ge­nen holzes.

du läuf­st mor­gens, mit­tags und abends. und manch­mal auch mit­ten in der nacht. du bist bei voll­mond unter­wegs und in den düsteren tagen des neu­monds. du läuf­st unter klarem him­mel und bewun­der­st immer wieder die weite des ster­nen­him­mels. du siehst, wie sich der mond im teich spiegelt und freust dich, dass außer dir nie­mand die ruhe der nacht stört. du freust dich auch über einen san­ften früh­som­mer­schauer und ärg­erst dich schon wieder über den ersten herb­sthagel.

du siehst rehe, füchse, eich­hörnchen, mäuse und fasane, eichel­häher, raben und krähen. du machst respek­tvoll einen bogen um die wild­schweine. du stolperst über die stadt­tauben, die dich schon so gut ken­nen, dass sie dir über­haupt nicht mehr auswe­ichen. die pferde stieben davon, wenn sie dich schnaufend um die ecke laufen bemerken. die wei­derinder lassen sich beim wiederkäuen nicht stören. du rechnest immer noch bei jedem frei laufend­en hund mit dem schlimm­sten.

du über­holst (nordic) walk­er, spaziergänger und wan­der­er. du ziehst an rad­fahrern und inline-skatern vor­bei und lässt reit­er und kutschen hin­ter dir. mit den moun­tain­bik­ern lieferst du dir heiße kämpfe, wer den hügel schneller hin­auf kommt — und nicht immer gib­st du dich geschla­gen. du schlän­gelst dich durch die fußgänger­zone und irrst über die feld­wege. du kämpf­st dich durch längst verwach­sene und vergessene wald­wege und suchst immer neue pfade durch dein revi­er. du ent­deckst selb­st dort, wo du schon zwanzig jahre unter­wegs bist, neue wege. du erin­nerst dich an alte pfade aus frühen zeit­en. du find­est nie­mand mehr, der mit dir laufen mag. aber du läuf­st.

du ärg­erst dich über die forstar­beit­er, die mit ihren riesen­maschi­nen jeden weg in eine schlammp­iste ver­wan­deln und halbe bäume auf deinen laufrouten hin­ter­lassen. und zugle­ich freust du dich über die her­aus­forderung, diese etappe in der näch­sten woche ein wenig flot­ter und ele­gan­ter zu meis­tern. du springst über baum­stämme und kriechst unter ästen hin­durch, wind­est dich auch ohne weg durch den ungepflegten dämm­ri­gen wald. du regst dich über jäger auf, die mit fün­fzig sachen auf dem weg zu ihrem hochsitz an dir vor­beibrausen und deine hack­en nur um haares­bre­ite ver­fehlen.

du wun­der­st dich über angler, die stun­den­lang nahezu bewe­gun­s­los vor ihrer angel sitzen, in den fluss star­ren und das ganze sport nen­nen. du durch­brichst ganz unbe­wusst und aus verse­hen zum ersten mal die schall­mauer der 100-wochenkilo­me­ter. und weil du ger­ade beim laufen bist, hängst du noch so eine woche hin­ten­dran. und noch eine. denn du läuf­st. täglich.

du fängst irgend­wann an, einen train­ings­plan zu suchen. und du läuf­st dann wie ein irrer eine stunde im kreis auf der finnen- und tar­tan­bahn. du keuchst und stöhnst über die ver­rück­te idee, nach einem lan­gen tag in den engen und stick­i­gen hörsälen noch ein inter­vall­train­ing machen zu wollen. aber du merkst, wie du immer fit­ter und schneller wirst. du läuf­st deinen ersten marathon und kannst dich vor begeis­terung kaum noch einkriegen.

du sam­melst schuhe. du wirst zum experten für gps-aufze­ich­nun­gen und puls­fre­quen­zen. du fängst sog­ar an, über deine ernährung nachzu­denken. und du liest von wild­frem­den leuten lange berichte über beson­ders schöne und span­nende läufe.

oder du stehst mit­ten in der nacht auf, um vor einem lan­gen tag im reise­bus wenig­stens noch drei kilo­me­ter abzus­pulen und bist trotz­dem als erster beim früh­stück. du nervst deine fre­unde, weil du immer am über­legen bist, wo und wie du am besten laufen gehst — selb­st im urlaub. du lässt auch deine gedanken laufen, du gehst den ver­gan­genen tag noch ein­mal durch und über­legst, was noch auf dich zukom­men wird in den näch­sten stun­den. du pro­bierst sätze und argu­mente, du wälzt prob­leme und ersinnst lösun­gen. du rennst dir den frust aus dem leib. du schweb­st vor lauter euphorie über die wege. du spulst kilo­me­ter um kilo­me­ter ab und kommst doch nicht vom fleck. aber du läuf­st.

du wirst tol­er­an­ter: die ver­rück­testen spin­ner erscheinen dir auf ein­mal ganz nor­mal. denn du läuf­st immer noch. jeden tag. selb­st wenn das heißt, dass du deine lauf­schuhe ins boot pack­en musst. oder dass du bar­fuß los­rennst, damit deine blase endlich mal ein paar tage ruhe zum heilen hat.

und endlich lernst du deinen weg lieben wie sisyphos seinen stein (auch wenn es bei lan­gen train­ingsläufen manch­mal schw­er fällt, jeman­dem zu erk­lären, warum du dir das antus): camus hat­te recht. und du läuf­st und läuf­st und läuf­st.

ganz ein­fach.

jeden tag

4 Kommentare

  1. Kornelia

    Hal­lo Matthias,
    ich finde Deine Beschrei­bung zum täglichen Laufen ganz toll. Man merkt Dir die Freude an dem Ganzen an. Wün­sche Dir weit­er­hin viel Spaß und die nötige Gesund­heit dafür.
    Gruß
    Kor­nelia

  2. matthias

    danke kor­nelia!
    ich hat­te schon fast vergessen, dass ich das mal aufgeschrieben habe. es stimmt aber immer noch 😉

  3. Oliver

    Wow…toller, bild­hafter und far­biger Text. Macht richtig Lust aufs Laufen!

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