Übers Laufen und was sonst so draußen passiert.

Kategorie: Lesestoff (Seite 1 von 4)

Ost-afrikanische Läufer

Der Sportwissenschaflter Ross Tuck­er über die Erfolge ostafrikanis­ch­er Läufer und ihre Gründe — und über das grundle­gende Prob­lem des Ver­trauens in die Leis­tung von Sportlern, wenn (auch) gedopt wird.

I think THERE IS a phys­i­o­log­i­cal basis for the con­cen­tra­tion of east African/Kenyan/Kalenjin/Nandi run­ners. I believe that THERE ARE legit­i­mate bio­me­chan­i­cal advan­tages that are more like­ly to be found in these pop­u­la­tions than else­where, and which explain their over-rep­re­sen­ta­tion. In turn, I believe that there are prin­ci­ples and con­cepts that study­ing east African run­ners can teach the world about being bet­ter run­ners.
But there’s a con­founder that you sim­ply can­not ignore unless you’re in total denial – dop­ing.

Ross Tuck­er, sportscientists.com

Er emp­fiehlt vor allem Mus­ter­erken­nung zur Ein­schätzung von sportlichen Leis­tun­gen einzuset­zen (und betont, dass das natür­lich kein Nach­weis von Dop­ing ist). Solche Muster kön­nten z.B. sein:

Any­one who runs a time in the top 50 in his­to­ry, or who comes top 5 in a big city marathon, is auto­mat­i­cal­ly high risk

Any major improve­ment in per­for­mance, with a huge increase in sus­pi­cion if that improve­ment hap­pens more than about three years into the athlete’s career, must be viewed as high­ly sus­pi­cious.

Errat­ic per­for­mance.

Ross Tuck­er, sportscientists.com

und, natür­lich nicht zu vergessen, das son­stige Ver­hal­ten der Ath­leten.
Das gibt eine inter­es­sante, bedenkenswerte Lek­türe.

Tuck­er, R. (2019, April 25). We need to talk about East African run­ners and gen­er­al trust vs skep­ti­cism in per­for­mances. Retrieved May 9, 2019, from https://sportsscientists.com/2019/04/we-need-to-talk-about-east-african-runners-and-general-trust-vs-skepticism-in-performances/

Marathon und Alter

Die New York Times schreibt einen net­ten kleinen Artikel über die Frage, wie und warum die Marathonzeit­en für ältere Läufer ger­ade so viel schneller wer­den. Das Ergeb­nis ist nicht son­der­lich über­raschend:

Peo­ple of all ages and abil­i­ties are get­ting smarter about how they train, and that is allow­ing them to remain fast as they age.

. Aber How to Run a Marathon Faster as You Get Old­er ist trotz­dem eine nette Lek­türe.

Der ultimative Ratgeber fürs Trailrunning ist nicht ultimativ

chase & hobbs, trail running (cover)Matthias | Täglich laufen

Auf gut 250 Seit­en ver­sprechen Adam W. Chase und Nan­cy Hobbs, alles zu ver­mit­teln und zu erk­lären, was man über Aus­rüs­tung, das Find­en von Trails, Ernährung, Hügel­strate­gie, Wet­tkampf, das Ver­mei­den von Ver­let­zun­gen, Train­ing, Wet­ter und Sicher­heit (in dieser Rei­hen­folge ist es der ausufer­nde Unter­ti­tel) wis­sen muss. Das ganze nen­nt sich dann beschei­den The Ulti­mate Guide to Trail Run­ning.

Ich glaube nicht, dass es der ulti­ma­tive Rat­ge­ber ist. Sich­er, die behan­del­ten The­men erschöpfen das Gebi­et Trail­run­ning ziem­lich voll­ständig. Aber: Zum einen sind die Ratschläge fast immer sehr all­ge­mein, oft sog­ar abstrakt gehal­ten. Ich weiß nach der Lek­türe also immer noch nicht alles … Zum anderen ist vieles sehr USA-spez­i­fisch. Etwa, wenn es um die Gefährdun­gen auf dem Trail geht: Da gibt es Bären, Moun­tain Lions, Schlangen und Poi­son Ivy — also lauter nor­damerikanis­che Spezial­itäten. Zum Aus­gle­ich wid­men die Autorin­nen ganze 30 Seit­en dem Aus­richt­en von Trail­wet­tkämpfen (das hätte ich nicht unbe­d­ingt wis­sen müssen — allerd­ings, wenn ich ehrlich bin: das meiste wusste ich auch hier schon …)

Denn: gesun­der Men­schen­ver­stand und Acht­samkeit für sich selb­st, die Umge­bung und das Geschehen wür­den schon viele der Ratschläge aus­re­ichend beschreiben oder erset­zen. Zumal sie vieles selb­st immer wieder ein­schränken: “depend­ing on your form” heißt das gerne, wahlweise gel­ten die Tipps auch abhängig von der verbleiben­den Kraft und Aus­dauer, der Müdigkeit, dem Ter­rain oder ähn­lichem. Das ist eben die Crux, wenn man den ulti­ma­tiv­en Führer schreiben will: Damit es über­all und für alle passt, bleiben nur noch Gemein­plätze übrig:

Falling is an unfor­tu­nate inevitabil­i­ty of down­hill trail run­ning. (37)

Ein paar Dinge sind aber auch gut: Die Trail-Defini­ton zum Beispiel und die Klas­si­fizierung von Trail, Fell, Moun­tain, Sky etc.:

The major­i­ty of the trails ref­er­enced in this book will have at least three of the four fol­low­ing char­ac­ter­is­tis. They will: (1) be unpaved; (2) have nat­ur­al obsta­cles that may include but are not lim­it­ed to rocks, tree stumps, tree roots, dirt, grav­el, mud, moraine, leaves, ice, snow, and creek cross­ings; (3) have a sig­nif­i­cant gain or loss of ele­va­tion; (4) include scenic vis­tas. (5)

Die Tipps zum richti­gen, effek­tiv­en Laufen von Stei­gun­gen hoch und runter sind auch recht gut. Und es gibt eine Menge (und das heißt wirk­lich: eine irre Menge) Anek­doten und Zitate von amerikanis­chen Trail­läufern und ‑läuferin­nen. Und — das ist in solchen Büch­ern eher sel­ten — sie ver­suchen immer­hin eine kurze Geschichte des Trail Run­ning (als Sport, nicht als Fort­be­we­gung bei der Jagd oder ähn­lichem) und gehen dafür bis in mit­te­lal­ter­liche Eng­land zurück.

Und im Prinzip stimmt auch alles, was hier ste­ht. Zumin­d­est kon­nte ich keine groben Schnitzer ent­deck­en. Wie hil­fre­ich das Buch ist, bleibt aber eine andere Frage. Für Trail-Anfänger ist es ja eigentlich unnötig, finde ich. Zum Trail­läufer wird man doch immer noch am ehesten und besten, indem man ein­fach raus­ge­ht und draußen läuft. Auf die meis­ten der hier ver­sam­melten Ratschläge kommt man den sehr schnell von ganz allein, auch ohne dass man große Fehler bege­hen muss. Mein Faz­it ist ganz klar: Auch ohne den Ulti­mate Guide hat man gute Chan­cen, ein Trail­läufer zu wer­den.

The best way to deal with mud on the trail is to enjoy it and get as dirty as pos­si­ble ear­ly in the run so you won’t wor­ry about it there­after. (39)

Adam W. Chase, Nan­cy Hobbs: The Ulti­mate Guide to Trail Run­ning. Every­thing You Need to Know About Equip­ment, Find­ing Trails, Nutri­tion, Hill Strat­e­gy, Rac­ing, Avoid­ing Injury, Train­ing, Weath­er, Safe­ty. 2. Auflage. Guil­ford, Hele­na: Fal­con Guides 2010. 254 Seit­en. ISBN 9780762755370.

Wissen, wo es langgeht: Der Ultralauf-Kompass von Norbert Madry

madry, ultralauf-kompass (cover)

150 Fra­gen beant­wortet Nor­bert Madry, der selb­st Ultra­läufer mit langer Erfahrung und auch Train­er ist, auf den gut 170 Seit­en seines ger­ade erschienen Ultra­lauf-Kom­pass. Eigentlich sind es sog­ar 300 Antworten: Es gibt näm­lich immer eine kurze, sehr pointierte Antwort, die meist nur aus einem knap­pen Satz beste­ht, und eine aus­führliche, erk­lärende, die sich auch mal — aber nur sel­ten — über mehrere Seit­en ziehen kann. Manch­mal ist der Ton etwas arg schn­od­drig für meinen Geschmack, aber das ist natür­lich eine sub­jek­tive Ein­schätzung.

Macht Ultra­laufen doof?
Ja, aber glück­licher­weise nur vorüberge­hend. (24)

Eine Menge Stoff also. Und Madry packt in den Fra­genkat­a­log auch so ziem­lich alles, was wichtig ist — und wenn er etwas nicht behan­delt, wie zum Beispiel die Aus­rüs­tung und Ernährung, dann weist er zumin­d­est darauf hin und begrün­det das mit dem fehlen­den “Ultra­spez­i­fikum”: Wenn das, was fürs Marathon­laufen gilt, auch beim Ultra­lauf Anwen­dung find­et, mag er es nicht auch noch mal behan­deln. Ein sehr sym­pa­this­ch­er Ansatz. Denn ein Buch, dass sich an Ultra­läuferin­nen (oder zumin­d­est Ultra-Inter­essierte) wen­det, wird in der Regel nicht auf Laufnovizen tre­f­fen — ein gewiss­es Grund­wis­sen dürfte also vorhan­den sein und das set­zt Madry auch voraus.

Das Frage-Antwort-For­mat passt ganz gut, weil er recht boden­ständig vor allem auf (seine) Erfahrungswerte set­zt, ohne große The­o­rien: Nach dem Mot­to “Aus der Prax­is, für die Prax­is” ist der Ultra­lauf-Kom­pass tat­säch­lich so etwas wie “ein klein­er, sehr sub­jek­tiv gefärbter Laufkumpel in Buch­form” (8). Gut gefall­en hat mir auch, dass er immer wieder ein­räumt: Hier präsen­tiere ich meinen eige­nen Blick auf die Materie, manche Antworten kön­nte man auch anders geben und nicht alle sind unbe­d­ingt für alle gültig. Er ver­fährt also nicht dik­tierend (so muss man es machen), son­dern weist darauf hin: So kann man es machen, so hat es sich zumin­d­est bewährt …

Auch wenn er im Vor­wort das Buch aus­drück­lich nicht nur für Ultras, son­dern auch für inter­essierte Läufer oder Neugierige ob der Ver­rück­theit­en, die ver­ste­hen wollen, was andere zu Ultras treibt, vor­sieht, so ist das doch schon ein Lauf­buch für Aktive. Madry konzen­tri­ert sich dabei vor allem auf die bei­den “klas­sis­chen” Ultra­diszi­plinen 100 km und 24 Stun­den, bleibt also vor­wiegend beim Straßen­lauf. Zugle­ich sind die Ratschlä­gen, Hin­weise und Antworten aber doch in der Regel so all­ge­mein gehal­ten, dass sie sich für die meis­ten Ultra­streck­en anwen­den lassen.

Was ich auch noch fest­gestellt habe: Nachts kann man entwed­er schlafen oder laufen. (91)

Er fängt dabei mit all­ge­meinen Über­legun­gen zum Ultra an, bevor sich der Haupt­teil — näm­lich fast 100 Seit­en — mit dem Train­ing, unter­gliedert nach Grund­la­gen (als “Bausteine“ sind die recht tre­f­fend beze­ich­net), Plä­nen, Beson­der­heit­en und Jahre­s­pla­nung, befasst. Abschließend gibt es noch zwei Kapi­tel zum Wet­tkampfgeschehen sowie der Psy­cholo­gie und Sozi­olo­gie des Ultras.

So weit ich das erken­nen und beurteilen kann, sind das vor­wiegen vernün­ftige Ratschläge, mit denen mal nicht viel falsch machen dürfte. Das Train­ing zum Beispiel wird klas­sisch peri­o­disiert in Grund­la­gen, spezielle Vor­bere­itung (mit Peak und eher zurück­hal­ten­dem Taper­ing), Wet­tkampf­phase und Regen­er­a­tion. Natür­lich liegt der Schw­er­punkt dann auf lan­gen Läufen, die eigentliche Tem­poar­beit erledigt Madry in der Neben­sai­son und lässt sie im Haupt­train­ing nur noch erhal­tend reak­tivieren. Dabei gilt sowieso: Im Ultra­lauf-Kom­pass wird sich nicht für jedes Fitzelchen Train­ings­gestal­tung eine abso­lut gültige Antwort find­en lassen. Denn Madry geht von einem mündi­gen, nach- & mit­denk­enden Ath­leten aus, der auch schon über Laufer­fahrung ver­fügt — das ist ja wohl auch der Nor­mal­fall, dass man meist schon ein paar Marathons und Kürz­eres in den Beinen hat, bevor man an Ultras, zudem auch noch leis­tungsin­ter­essiert, herange­ht. Madry spricht dabei immer wieder gerne vom „läuferischen Gesamtkunst­werk“ — und das ist auch typ­isch: Nicht ein einzelner/wenige Ansatzpunkt ist erfol­gsver­heißend, son­dern es sind sehr viele, sehr ver­schiedene Stellschrauben, an denen zur Leis­tungsverbesserung, zur Aus­reizung der per­sön­lichen läuferischen Poten­zials, gedreht wer­den kann.

Ich habe es nicht aus­pro­biert (und auch nicht alles durchgerech­net). Beim Lesen des Ultra-Kom­pass sind mir aber aus mein­er (beschei­de­nen) Ultra­er­fahrung jedoch keine groben Unstim­migkeit­en aufge­fall­en oder Sachen, die mir sus­pekt erschienen. Allerd­ings gibt es eben auch keine „neuen“ Weisheit­en — ganz wie es Madry eben ver­spricht. Sehr zurück­hal­tend (um es so zu for­mulieren) fand ich seine Ein­stel­lung zur Psy­che beim laufen — ihm liegen die kör­per­lichen Dinge offen­bar mehr (und sie sind ja auch absolute Voraus­set­zung). Aber ich würde der men­tal­en Vor­bere­itung und Ver­fas­sung während Wettkampf/Lauf etwas mehr Bedeu­tung beimessen.

Aber der Ultra­lauf-Kom­pass ist auf jeden Fall lesenswert. Und er ist vor allem als Nach­schlagew­erk sehr hil­fre­ich, wenn man sein eigenes, schlum­mern­des Halb­wis­sen noch mal über­prüfen oder kor­rigieren möchte …

Aber eine schöne Antwort auf die oft gestellte nervige Frage »Wovor läuf­st Du eigentlich denn weg??« ist: »Ich laufe vor nichts weg, son­der zu allem hin. Auch zu mir selb­st, und ich bin noch lange nicht da.« (171)

Nor­bert Madry: Der Ultra­lauf-Kom­pass. Für alle, die es wirk­lich wis­sen wollen. Grün­wald: Copress 2016. 176 Seit­en. ISBN 9783767911116.

Waldlauf

… ich ver­suche mich an den Wald­lauf zu erin­nern, den ich in der Früh gemacht habe. Die Ruhe, das monot­o­ne Auf­set­zen der Füße. Ab und zu die Arme schlenkern, ganz lock­er. Tief dur­chat­men, das langsame Erhitzen des Kör­pers. Die vol­lkommene Leere im Kopf. Die Augen erfassen den Boden, die Baum­stämme. Im Laufen tanzen die Bäume vor den Augen, ich laufe, bis die Land­schaft vor meinen Augen auf- und abhüpft, wie ein ver­rück­tes Fernse­hbild … Urs Jaeg­gi, Bran­deis, 10f.

Abgekürzt und gedopt: “Die Philosophie des Laufens”

austin & reichenbach, philosophie des laufensDer Titel ist recht voll­mundig und hat mich sofort gepackt und neugierig gemacht: Die Philoso­phie des Laufens — das klingt span­nend und vielver­heißend. Nicht etwa „eine“ Philoso­phie oder „Laufen und Philoso­phie“, nein, Austin und Reichen­bach ver­heißen auf diesen knapp 200 Seit­en Die Philoso­phie des Laufens. Und lei­der kön­nen sie dieses Ver­sprechen so über­haupt nicht ein­lösen.

Die Nen­nung der bei­den Her­aus­ge­ber­na­men ist allerd­ings schon ein Hin­weis auf ein Prob­lem, dass ich mit dem Buch habe. Denn let­ztlich sind das eher zwei Büch­er. Der eigentliche Kern basiert auf ein­er englis­chsprachi­gen Veröf­fentlichung, die Austin bere­its 2007 mit dem ungle­ich passenderen Titel Run­ning & Phi­los­o­phy: A Marathon for the Mind her­aus­gab. Doch von den 19 dort gedruck­ten Auf­sätzen hat der deutsche Her­aus­ge­ber nur acht über­set­zt und über­nom­men und die „Lücke“ mit deutschen Beiträ­gen gefüllt. Die sind aber nun alle ger­ade über­haupt keine philosophis­che Beschäf­ti­gung mit dem Laufen, so dass sich das sehr sorgfältig und schön hergestellte Buch gle­ich mal als Mogel­pack­ung erweist — oder, um es mit einem Läufer­bild zu sagen, der Marathon ist hier kaum 20 Kilo­me­ter lang.

Und wenn man das Bild noch weit­er­spin­nt: Statt eines schö­nen und schwieri­gen Berg- oder Land­schafts-Marathons erwartet den Leser eine wenig inspiri­erende Strecke durch flache Indus­triege­bi­ete. Denn selb­st wenn ich die deutschen Beiträge erst ein­mal außen vor­lasse — der Ertrag der Texte ist wed­er auf philosophis­ch­er noch auf läuferisch­er Seite sehr hoch.

Das zweite von drei Vor­worten entwick­elt zunächst das Pro­gramm:

[…]Läufer sind auf der Suche nach mehr als nur der Ziellinie oder dem Ende der Train­ingsrunde. Für viele ist Laufen auch ein Weg, um Wahrheit­en zu find­en, über sich selb­st und die Dinge in ihrem Leben, die ihnen etwas bedeuten. Für viele von uns ist Laufen ein Weg, sich selb­st ken­nen­zuler­nen, ein Teil unseres Weges zum Glück­lich­sein. Das Laufen schafft uns Freiräume, in denen wir uns über unser Leben und seine großen Fra­gen Gedanken machen kön­nen. Und an eben­jen­em Punkt über­schnei­den sich die Ziele des Läufers und die des Philosophen. Sowohl das Lauf als auch das Philoso­phieren kön­nen uns in ihren besten Momenten helfen, etwas über uns selb­st zu erfahren und darüber, was wichtig ist; vielle­icht sog­ar etwas über Wirk­lichkeit an sich.

Die hier geweck­ten Erwartun­gen kann das Buch dann aber kaum ein­lösen. Sich­er, einige inter­es­sante Ideen und Anre­gun­gen steck­en da drin. Aber die wer­den fast immer nicht aus­re­ichend entwick­elt, um wirk­lich eine „Philoso­phie des Laufens“ begrün­den zu kön­nen.

Michael Austin überträgt das Konzept der Fre­und­schaft aus Aris­tote­les Niko­machis­ch­er Ethik auf Lauf­fre­und­schaften — ein eigentlich nahe­liegen­der Trans­fer, der auch passt, aber wenig neue Erken­nt­nis oder Ein­sicht ins Laufen liefert. Ray­mond Bel­liot­ti bringt in ein­er etwas gezwun­genen Syn­these Laufen und die Macht über Niet­zsches Machtvorstel­lun­gen zusam­men (kon­nte mich über­haupt nicht überzeu­gen).

Ganz unpassend und wenig erken­nt­n­is­fördernd fand ich den Ver­such von Gre­go­ry Bassham, sieben “Voraus­set­zun­gen” des Erfol­gs (im Leben, der Kar­riere und über­haupt) auf das Laufen anzuwen­den. Das ist genau so, wie es sich anhört: Selb­sthil­fege­blub­ber.

Ray­mond Vanar­ragons „Lob des Jog­gers“ führt ein auf den ersten Blick vielver­sprechen­des Kri­teri­um zur Unter­schei­dung von Joggen und Laufen ein: Nicht das Tem­po, son­dern das Ziel führt zur Dif­feren­zierung. Joggen heißt dann, sich bewe­gen, um fit zu bleiben oder zu wer­den. Laufen dage­gen hat andere Ziele: prize und chal­lenge, also unge­fähr: Sieg und/oder Her­aus­forderung (Van­naragon unter­schei­det beim Laufen noch ein­mal zwei Typen). Eine zumin­d­est the­o­retisch dur­chaus überzeu­gende Typolo­gie, finde ich — die müsste man mal empirisch testen …

Am span­nend­sten und inter­es­santes ist der Text von Christo­pher Mar­tin zum „Laufen als ästhetis­che Erfahrung“, der sich dafür bei Deweys Ästhetik-Konzept bedi­ent. Heather Rei­ds „Die Frei­heit des Langstreck­en­läufers“ ist eine exis­ten­tial­is­tis­che Lek­türe von Alan Sil­li­toes The Lone­li­ness of the Long Dis­tance Run­ner, die aber kaum über eine behut­sam kon­tex­tu­al­isierende Para­phrase hin­auskommt. Einen dur­chaus inter­es­san­ten Ansatz bietet Jere­my Wis­news­ki, der die verän­derte Welt­wahrnehmung beim und durchs Laufen unter die Lupe nimmt und sich dafür der Phänom­e­nolo­gie von Meleau-Pon­ty bedi­ent, lei­der aber etwas ober­fläch­lich bleibt (das ist ja eine grund­sät­zliche Krankheit aller Beiträge in diesem Band).

Aber: Auf den ersten Blick nett, aber ein­fach nur Anwen­dung von ein paar ver­streuten Ideen der Philoso­phiegeschichte auf die Tätigkeit des Laufens oder den Sta­tus des Läufers. Also eigentlich in der falschen Rich­tung gedacht: Laufen und Läuferin­nen dienen hier vor allem als Exem­pli­fika­tio­nen philosophis­ch­er The­o­reme oder Überzeu­gun­gen. Erwartet hätte ich hinge­gen eine philosophis­che Unter­suchung des Laufens (Mark Row­lands gelingt das in Der Läufer und der Wolf zwar auch nicht erschöpfend, aber wesentlich bess­er als diesem Band), nicht eine läuferische Betra­ch­tung der Philoso­phie.

Ganz beson­ders ärg­er­lich fand ich aber das deutsche Füll­ma­te­r­i­al. Viel mehr ist das näm­lich nicht. In einem Blog hät­ten die bess­er Platz gefun­den (da kom­men sie bzw. ihr Kern, ihre Idee ja auch her): Isabel Bog­dan schreibt über ihren ersten 10-km-Lauf, Flo­ri­an Baschke über das Laufen mit Iphone-Apps, Jan Drees über das Leich­tath­letik­train­ing und so weit­er — das Prob­lem ist aber: Philoso­phie oder gar eine Philoso­phie des Laufens (oder wenig­stens eine Verknüp­fung oder Verbindung von Philoso­phie und Laufen) kommt da über­haupt nicht vor, so dass die Texte — die als einzelne dur­chaus nett sind — mich an diesem Ort, in diesem Zusam­men­hang ein­fach stören: Das ist Unsinn, eine Mogel­pack­ung. Zumal Peter Reichen­bach lei­der über­haupt nicht erk­lärt, warum er diesen Weg wählt, warum das orig­i­nale Konzept ein­er philosophis­chen Beschäf­ti­gung aus unter­schiedlichen philosophis­chen Blick­winkeln und Denkschulen mit ver­schiede­nen Aspek­ten des Laufen nicht beibehal­ten wurde. So bleibt ein Buch, das wed­er Jog­ger noch Läufer, wed­er Spaziergänger noch Walk­er ist, son­dern ein unerquick­lich­es Kud­del­mud­del.

Michael W. Austin, Peter Reichen­bach (Hrsg.): Die Philoso­phie des Laufens. Ham­burg: mairisch 2015. 197 Seit­en. ISBN 978–3‑938539–37‑8

Von Wölfen, Hunden und den Gründen des Laufens

rowlands-läuferDer Läufer und der Wolf — das ist schon ein­mal eine Ansage, die Mark Row­lands da im Titel seines Buch­es macht. Und lei­der ist sie etwas irreführend. Das ist aber auch schon fast der größte Makel, den ich an seinem Werk beim Lesen ent­deck­en kon­nte.

Mark Row­lands entwick­elt hier jeden­falls so etwas wie eine Philoso­phie des Laufens beim Laufen oder durch das Laufen. Laufen, darauf legt er immer wieder Wert, hat in der mod­er­nen Welt für den mod­er­nen Men­schen eine beson­dere Stel­lung. Denn das Laufen ist Zweck­frei­heit in Rein­form. Hier, beim oder im Laufen, find­et Row­land einen echt­en intrin­sis­chen Wert, der in ein­er Zeit, die sich als instru­mentelle Peri­ode beschreiben lässt, eine große Aus­nahme ist. Und — das ist ein wenig para­dox — darin liegt ger­ade der Wert oder die Fasz­i­na­tion des Laufens: Dadurch, dass es intrin­sisch motiviert ist — also nicht durch Über­legun­gen wie längeres/gesünderes Leben, besseres Ausse­hen, schnellere Zeit­en — zeigt uns das Laufen, dass es auch in ein­er (fast) durchge­hend instru­mentell organ­isierten und ver­fassten Welt intrin­sis­che Werte geben kann und auch gibt:

Laufen ist das verkör­perte Erfassen von intrin­sis­chem Wert im Leben. Das ist der Sinn des Laufens. Das ist es, was Laufen wirk­lich ist. (227)
Laufen ist ein­er der Momente im Leben, wo die Zwecke und Ziele ent­fall­en. (216)

Und das führt wiederum zu ein­er weit­eren, emi­nent wichti­gen Beobach­tung über den Sta­tus des Laufens:

Laufen […] ist ein Weg, um zu ver­ste­hen, was wichtig oder wertvoll im Leben ist. (15)

Das entwick­elt Row­lands in ein­er Art Free-Flow-Philoso­phieren, einem Freis­til-Denken: Ereignisse, Abschnitte sein­er Biogra­phie, das Tun des eige­nen Lebens dienen ihm als Anlass und Impuls, über größere Zusam­men­hänge nachzusin­nen (und die Leserin­nen daran teil­haben zu lassen). Manch­mal ein­fach so, manch­mal mit Sys­tem, manch­mal mit Rück­bezug (aber eher all­ge­mein, nicht speziell oder aus­ge­sprochenn detail­liert) auf die Philoso­phiegeschichte. Als wesentlich zeigt sich in Der Läufer und der Wolf, das neben anderem auch ein Läufer­buch ist (mit dem typ­is­chen Abschre­it­en der eige­nen Läufer­kar­riere — dem Laufen in der Kind­heit, dem Train­ing, dem ersten Marathon, den Hun­den (“Wölfe”!) als Moti­va­toren fürs Laufen), die Beobach­tung der Prozesshaftigkeit der Zeit, also: des Alterns. Zu den typ­is­chen Eigen­heit­en eines Lauf­buchs gehört auch die wieder­holte Beschwörung eines “Herz­schlag des Laufes”, die Row­land immer wieder erzählt: Jed­er Lauf hat für sich seinen eige­nen Herz­schlag, sein eigenes Leben, das es zu ent­deck­en, zu spüren und zu erfahren gilt — ein Moment übri­gens, an dem der Intellekt seine Gren­zen aufgezeigt bekommt.

Außer­dem beobacht­en Row­lands noch eine Verän­derung in Stufen beim und durch das Laufen auf der Langstrecke: Er beschreibt das als spin­ozis­tis­che, carte­sian­is­che, humesche und sartresche Phasen des Laufens, die während dem Laufen zu ein­er zunehmenden “Ich-Auflö­sung” führen und den Läufer, das ist natür­lich der entschei­dende Punkt, Frei­heit schenken, ihn (von sich und der Welt) befreien.

Wenn ich denke, erfahre ich mich selb­st nor­maler­weise dabei. Beim Langstreck­en­lauf erfahre ich mich nicht beim Denken, weil die Kon­trolle, die ich über mich selb­st habe, weniger wird. An die Stelle des Denkens treten Gedanken, anscheinend ganz und gar nicht meine eige­nen, die aus dem Nir­gend­wor kom­men, völ­lig uner­wartet, und gle­ich wieder im Dunkel ver­schwinden. (77)

Durch dieses ganze Bün­del an dem Laufen spez­i­fisch eige­nen Erfahrun­gen (Zweck­frei­heit, Herz­schlag, Be-Freiung) bekommt das Laufen seinen spez­i­fis­chen Wert für den mod­er­nen Men­schen und seine Stel­lung im Leben: Das Laufen kann (nicht muss!) uns den “inneren Wert des Lebens” nicht unbe­d­ingt zeigen, aber zumin­d­est aufzeigen oder vor­führen:

Das Laufen, so meine These, hat einen inneren Wert. Und deshalb kommt man, wenn man läuft und es aus dem richti­gen Grund tut, mit dem inneren Wert des Lebens in Berührung. (14f.)

Und damit kann das Laufen ja unge­heuer viel — näm­lich nicht weniger, als den Sinn des Lebens zu erschließen:

Aber Laufen ist ein Weg, und als solch­er ermöglicht das Laufen es uns, die Frage nach dem Sinn des Lebens zu beant­worten (15)

Mark Row­lands: Der Läufer und der Wolf. 2. Auflage. Berlin: Rogn­er & Bern­hard 2014. 240 Seit­en. ISBN 9783954030484.

Langstreck­en­laufen ist eine zielo­ri­en­tierte Leis­tung, die zeigt, wie bankrott das Konzept der zielo­ri­en­tierten Leis­tung ist. (39)

Ein “Tanz mit den Hindernissen” — Kilian Jornets “Lauf oder stirb”

Beina­he hätte ich das Buch noch auf der ersten Seite zugeklappt und in den Papierko­rb geschmis­sen. Da ste­ht näm­lich so hirn­ver­bran­nter Unsinn wie:

„Hol dir den Siegerkranz, oder stirb bei dem Ver­such, ihn zu erlan­gen. Ver­lieren heißt ster­ben, gewin­nen heißt leben. […] Sport ist ego­is­tisch, weil man ego­is­tisch sein muss, um kämpfen und lei­den zu kön­nen, um die Ein­samkeit und die Hölle zu lieben. […] Denn ver­lieren heißt ster­ben. Und du kannst nicht ster­ben, ohne alles gegeben zu haben, ohne dass Schmerzen und Wun­den dich zum Weinen gebracht hät­ten. Du darf­st nicht aufgeben. Du musst kämpfen bis zulet­zt. Denn Ruhm ist das Aller­größte, und dein einziges Ziel muss sein, ihn zu erlan­gen oder auf der Strecke zu bleiben, nach­dem du alles gegeben hast. […] Es ist an der Zeit zu lei­den, es ist an der Zeit zu kämpfen, es ist an der Zeit zu siegen. Lauf oder stirb! (9f.)

Zum Glück — und das ist wirk­lich ein Glück — ist es mit solch markig-mar­tialis­ch­er gewalt- und kriegsver­her­rlichen­der Sprüchek­lopfer­ei dann auch schnell wieder vor­bei. Denn der Rest von Lauf oder stirb (der Titel hätte mich ja war­nen kön­nen) ist ein aus­geze­ich­netes Lauf­buch.

jornet, lauf oder stirbDa geht es näm­lich wirk­lich um das Laufen. Und natür­lich um Kil­ian Jor­net. Das führt dazu, dass “Laufen” hier manch­mal etwas anderes ist als das, was “nor­male” Men­schen darunter ver­ste­hen. Jor­net, in den Bergen geboren (der Hin­weis darf nie fehlen …), schon früh von seinen Eltern in das Wet­tkampfgeschehen der Bergsportarten, ins­beson­dere des Skiberg­steigens, einge­führt, läuft näm­lich vor allem sehr extrem. Fast nur im Gebirge, gerne mal ohne Weg und Steg, gerne mal weit über das hin­aus­ge­hend, was vernün­ftig ist und mit halb­wegs real­is­tis­ch­er Risikoein­schätzung noch zu vertreten ist. Nachah­men sollte man das also nicht unbe­d­ingt. Lauf oder stirb hat aber auch gar nicht Anspruch, ein Anleitungs­buch zu sein: Es gibt keine Train­ingspläne (die wer­den nicht ein­mal erwäh­nt), keine Aus­rüs­tungstipps, es ist keine Ernährungs­bibel und auch kein Weg­weis­er zu beson­ders tollen Trails. Stattdessen erzählt Jor­net wirk­lich vom Laufen und der Fasz­i­na­tion daran: Der Fasz­i­na­tion des Draußen-seins: Dem Erleben der Umwelt, der Berge und Gebirge, der Pflanzen und der Tiere, dem Wet­ter und der Aus­sicht­en, den Naturschaus­pie­len.
Der Fasz­i­na­tion der kör­per­lichen Erfahrung: Das wörtliche erlaufen neuer Hor­i­zonte, neuer Höhen und Gebi­ete.
Der Fasz­i­na­tion der Her­aus­forderung von Gren­zen und dem Über­schre­it­en.
Der Fasz­i­na­tion des Laufens nicht nur als Bewe­gung­form, als Ablauf von Bewe­gun­gen (auch das spielt aber eine Rolle), son­dern auch als eine Art Exis­tenz, ein psy­chis­ch­er Zus­tand, eine Art Sucht.
Und, nicht zu vergessen: die Fasz­i­na­tion des Gewin­nens.
Denn der Jor­net, der sich hier präsen­tiert, läuft um zu siegen, er ist ein (rein­er) Wet­tkampfläufer: Läufe, die der Vor­bere­itung, dem Train­ing dienen oder ein­fach so unter­nom­men wer­den, spie­len hier kaum eine Rolle. Es geht ums gewin­nen. Oder sie dienen dazu, andere zu besiegen. Im direk­ten Ver­gle­ich wie beim UTMB oder im Unter­bi­eten von Bestzeit­en (zum Beispiel beim TRT oder auf dem Kil­i­mand­scharo): Auf das Siegen kommt es an.

Ich genieße den Wet­tkampf. Jeden davon möchte ich gewin­nen und dabei das Gefühl erleben, als Erster durchs Band zu laufen. Es ist wun­der­bar, nach der let­zten Kurve in die Ziel­ger­ade einzu­biegen und das Band am Ende zu erspähen. Mich noch ein­mal umzu­drehen und zu verge- wis­sern, dass nie­mand mir diesen Moment nehmen kann. Nach vorne zu schauen, die Augen zu schließen und noch ein­mal Gas zu geben, um mich vom Pub­likum zum Sieg tra­gen zu lassen. In jen­em Moment vergesse ich den Schmerz, spüre ich meinen Kör­p­er nicht mehr, son­dern bin, von den Emo­tio­nen dieser let­zten Sekun­den erfüllt, ganz bei mir. Und dann füh­le ich, wie mein schweiß­nass­er Kör­p­er das Ziel­band zer­reißt und es zu Boden fällt. (31)

Das macht Jor­net allerd­ings nicht alleine, son­dern aus­ge­sprochen pro­fes­sionell mit großer Mannschaft, die schnell zwei Dutzend und mehr “Mitar­beit­er” umfasst. Das fand ich etwas schade, dass er diesen Umstand gerne etwas abtut: Natür­lich sind die ihm wichtig — die Höflichkeit gebi­etet das, aber beson­ders detail­liert oder inten­siv geht er nicht auf sie ein, wed­er auf die Läufer, die ihm als Tem­po­mach­er dienen (er nen­nt das meis­tens “Train­er”), noch das Ver­sorgung­steam und schon gar nicht der große medi­ale Zirkus. Dass sein Spon­sor Salomon bei der Pyrenäen­querung auch einen Hub­schrauber im Ein­satz hat­te, erfährt man hier nicht — an weni­gen Stellen wer­den Kam­eraleute und Fotografen immer­hin erwäh­nt.

Das soll jet­zt über­haupt nicht seine Leis­tung schmälern, hätte vielle­icht aber ein voll­ständi­geres Bild abgegeben. Denn Jor­net ist, wie vielle­icht kaum ein ander­er Trail-/Ul­tra­läufer über­haupt, eine medi­ale Insze­nierung, die sein Spon­sor maßge­blich vorantreibt. Das mag, um wieder zum eigentlichen zurück­zukom­men, mit seinem Lauf­stil zusam­men­hän­gen: Laufen, das ist für Jor­net ein „Tanz mit den Hin­dernissen“ (66). Dazu gehört auch, sich irrsin­nig irgendwelche Hänge und Rin­nen her­abzustüren, über Grate zu bret­tern — und dabei noch lock­er und genießend auszuse­hen. Davon erfährt man auch in Lauf oder stirb viel. Und von dem, was in einem solchen Aus­nah­meläufer während des Laufens vorge­ht, wie er das Laufen, seine Umge­bung und sich selb­st wahrn­immt — das sind großar­tige Pas­sagen wie diese hier:

Inmit­ten dieser Far­ben­pracht gle­ichen wir Tänz­ern, die sich im Rausch der Kraft fort­be­we­gen. Wir spie­len mit dem bre­it­en, sich wellen­för­mig dahin­schlän­gel­nden Weg, der uns alles gibt, was wir brauchen, um Spaß zu haben. Jede Kurve, jedes noch so kleine Gefälle, jed­er Son­nen­strahl, der uns trifft, belebt unser Tem­po. Jede Ausrede ist recht, um die Schrit­tfre­quenz mein­er Beine zu erhöhen und zu spüren, wie meine Muskeln sich beim Abstoßen vom Boden zusam­men­ziehen und während der Flug­phase vol­lkom­men entspan­nen. Meine Uhr zeigt mir an, dass ich mich mit sechzehn Stun­denkilo­me­tern fort­be­wege. Ich füh­le mich wirk­lich gut, und meine Füße wür­den den Unter­grund am lieb­sten gar nicht berühren. Wir kom­men mit großer Geschwindigkeit zwis­chen den Bäu­men voran, fliegen förm­lich mit leisem Schritt und gle­ich­mäßiger Atmung, sodass uns nichts ent­ge­ht, was um uns herum passiert. (62)

Natür­lich gehört auch der Schmerz dazu, die Über­win­dung, das Lösen von Prob­le­men — sei es der Ver­sorgung, der Ori­en­tierung oder der Musku­latur, die vielle­icht nicht ganz so unternehmungslustig ist.

Die Besessen­heit, mit der sich Jor­net dem Laufen ver­schreibt, ist sich­er nicht ganz üblich. Nicht ganz durch­schnit­tlich sind aber auch seine Voraus­set­zun­gen. Für ihn ist es vor allem die Psy­che, die ihn zum Gewin­ner macht. Das ist natür­lich min­destens Under­state­ment, eigentlich sog­ar etwas geschum­melt. Denn natür­lich geht so etwas — Spitzen­leis­tun­gen wie der mehrfache Sieg beim UTMB oder ähn­lich­es — nicht ohne entsprechende phys­i­ol­o­gis­che Voraus­set­zun­gen. Aber man sollte bei einem Läufer­buch vielle­icht auch nicht jedes Wort auf die Gold­waage leg­en. Denn unab­hängig von meinen kleinen Ein­wän­den1 ist Lauf oder stirb ein tolles Buch, dass die grandiosen Erfahrun­gen, die man — ob man so schnell, weit und extrem läuft wie Jor­net oder wie ich etwas gemäßigter 😉 — beim Laufen immer wieder machen kann, sehr anschaulich und ger­adezu mitreißend beschreibt.

Kil­ian Jor­net: Lauf oder stirb. Das Leben eines bed­i­n­ungslosen Läufers. München: Malik 2013. 222 Seit­en. ISBN 9783890297644.

  1. Dazu gehört übri­gens auch noch die Kri­tik am etwas schlampi­gen Lek­torat, dass doch tat­säch­lich mehrmals (S. 15 u.ö.) Gal­izien statt Gali­cien ste­hen lässt!

Essen und Laufen

Eat & Run, CoverIst das ein Lauf­buch? Der Autor­name lässt es ver­muten: Scott Jurek ist ein­er der großen Ultra­läufer. Aber Eat & Run — der Titel ver­rät es ja schon — dreht sich nicht nur ums Laufen. Im Gegen­teil: Über weite Streck­en geht es vor allem ums Essen. Nicht ohne Grund ste­ht das im Titel vorne. Und zwar um das richtige Essen — näm­lich die veg­ane Ernährung. Jurek schildert aus­führlich seinen Weg von der “nor­malen” amerikanis­chen Kost des mit­tleren West­ens zur veg­an­is­chen Ernährung. Das geschieht bei ihm vor allem aus (schein­bar) gesund­heitlichen Grün­den und weil er meint zu beobacht­en, dass er sich damit bess­er fühlt. Zugle­ich pla­gen ihn aber auch lange und immer wieder die Zweifel, ob er mit veg­a­nen Lebens­mit­teln aus­ge­wogen, gesund und in allen Bere­ichen aus­re­ichend genährt ist, um Ultras zu laufen.

Schade, dass das eigentliche Laufen dann so eine ver­gle­ich­sweise kleine Rolle spielt. Sich­er, die großen Ereignisse sind drin — etwa sein über­raschen­der Sieg beim West­ern State 1999. Sein Kampf mit dem Bad­wa­ter, mit dem der von Steve Fried­man in eine angen­hem les­bare, dur­chaus span­nende und abwech­slungsre­iche Erzäh­lung gebrachte Text ein­set­zt. Was mir aber oft fehlte: Was Jurek beim Laufen eigentlich erlebt, wie er das Laufen erlebt und wahrn­immt. Hier geht es dage­gen oft um “Äußeres” — sein Train­ing, die Wet­tkämpfe, die Streck­en auch mal, das aber schon recht ober­fläch­lich oft.

Typ­isch für ein Lauf­buch, ger­ade von Ultra­läufern, ist aber ein wesentlich­er Aspekt: Die per­ma­nente Über­bi­etungslogik (hier aber gar nicht oder nur wenig reflek­tiert). Das muss immer noch etwas härter, noch etwas weit­er, steil­er, extremer und gefährlich­er sein. Bei Jurek kommt noch hinzu: Mit immer mehr Hand­i­cap gelaufen — zum Beispiel wie den Hardrock 100 mit ver­let­ztem Knöchel -, also immer mehr Schaden an Leib und Seele in Kauf nehmend. Aber für “tough men” ist das natür­lich gar kein Prob­lem, son­dern eine Her­aus­forderung. Viel weit­er reicht der Hor­i­zont Jureks hier nicht — schade eigentlich. Schade auch, dass er sich auf’s Gewin­nen beschränkt. Sein Scheit­ern spielt nur eine sehr kleine Rolle — die Auf­gabe beim UTMB 2008 ist ihm etwas nur einen hal­ben Satz wert und wird mit ein­er Ver­let­zung entschuldigt. Das ist etwas para­dox, weil er ger­ade zuvor seit­en­weise über seine hero­is­che Groß­tat, den Hardrock 100 schon ver­let­zt zu begin­nen, schrieb. Aber es passt in den Ein­druck, der sich bei mir immer mehr ver­stärk­te: Es geht ihm hier nicht ums Laufen, son­dern um das Gewin­nen — also um das Besiegen ander­er Läufer. Das passt nur wenig mit sein­er gerne beschwore­nen Beschei­den­heit zusam­men — ger­ade wenn es in Sätzen gipfelt wie:

No one wants to win more than I do. (154)

Ver­nun­ft und Ver­stand darf man hier aber generell nicht zu viel erwarten.

Bei manchen Din­gen reicht meine Geduld allerd­ings auch nicht: Zum Beispiel schreibt er lange und aus­führlich über die Idee, mit möglichst kleinem “impact” auf der Erde zu leben, also möglichst wenig bis gar keine Ressourcen zu ver­brauchen. Nur um dann wenige Seit­en später sich ganz selb­stver­ständlich ins Flugzeug zu set­zen, um ein paar Stun­den zum näch­sten Lauf zu fliegen, weil seine Moti­va­tion auf den “Haus­run­den” ger­ade im Keller ist. So etwas kapiere ich ein­fach nie …

Das klingt jet­zt alles recht neg­a­tiv — aber so richtig warm gewor­den bin ich mit Eat & Run eben nicht. Obwohl ich die Leis­tun­gen Jureks sehr schätze, blieb mir seine Hal­tung zum Laufen, wie sie sich hier zeigt, ein­fach fremd.

Scott Jurek with Steve Fried­man: Eat & Run. My unlike­ly Jour­ney to Ultra­ma­rathon Great­ness. Lon­don u.a.: Blooms­bury 2012. 260 Seit­en. ISBN 9781408833384

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