Täglich laufen

Übers Laufen und was sonst so draußen passiert.

Seite 4 von 18

Neu im Fuhrpark: Singlespeed

Mein Zwei­rad-Fuhr­park ist noch ein klei­nes biss­chen gewach­sen: Seit kur­zem bin ich jetzt auch noch im Besitz eines schi­cken Sin­g­le­speed-Rades. Das ein­fa­che und güns­ti­ge Modell, ein Lea­der FF1 von Tret­werk, konn­te ich qua­si neu aus zwei­ter Hand erwer­ben (und dabei noch ein paar Euro spa­ren): unge­fah­ren, aber auf­ge­baut (aller­dings hat­te der Vor­be­sit­zer die Vor­der­rad­brem­se falsch mon­tiert). Und nach nach den ers­ten Test kann ich sagen: So ein Räd­chen macht eine Men­ge Spaß. Man muss beim Fah­ren noch weni­ger „den­ken“, son­dern tritt ein­fach in die Peda­le. In der Stadt funk­tio­niert das her­vor­ra­gend. Am Wochen­en­de habe ich es sogar für zwei, drei kur­ze Stre­cken im Oden­wald getes­tet und dabei fest­ge­stellt, dass sogar das geht – wenn man klei­ne Umwe­ge zur Ver­mei­dung der steils­ten Anstie­ge in Kauf nimmt ;-). Aber in ers­ter Linie habe ich das natür­lich für die (fast) fla­che Innen­stadt von Mainz erwor­ben. Und da flutscht es mit dem Ding ein­fach. Und schick ist es noch dazu (vor allem, nach­dem ich alle – und das waren wirk­lich vie­le! – Auf­kle­ber ent­fernt habe …)

Von Wölfen, Hunden und den Gründen des Laufens

rowlands-läuferDer Läu­fer und der Wolf – das ist schon ein­mal eine Ansa­ge, die Mark Row­lands da im Titel sei­nes Buches macht. Und lei­der ist sie etwas irre­füh­rend. Das ist aber auch schon fast der größ­te Makel, den ich an sei­nem Werk beim Lesen ent­de­cken konn­te.

Mark Row­lands ent­wi­ckelt hier jeden­falls so etwas wie eine Phi­lo­so­phie des Lau­fens beim Lau­fen oder durch das Lau­fen. Lau­fen, dar­auf legt er immer wie­der Wert, hat in der moder­nen Welt für den moder­nen Men­schen eine beson­de­re Stel­lung. Denn das Lau­fen ist Zweck­frei­heit in Rein­form. Hier, beim oder im Lau­fen, fin­det Row­land einen ech­ten intrin­si­schen Wert, der in einer Zeit, die sich als instru­men­tel­le Peri­ode beschrei­ben lässt, eine gro­ße Aus­nah­me ist. Und – das ist ein wenig para­dox – dar­in liegt gera­de der Wert oder die Fas­zi­na­ti­on des Lau­fens: Dadurch, dass es intrin­sisch moti­viert ist – also nicht durch Über­le­gun­gen wie längeres/​gesünderes Leben, bes­se­res Aus­se­hen, schnel­le­re Zei­ten – zeigt uns das Lau­fen, dass es auch in einer (fast) durch­ge­hend instru­men­tell orga­ni­sier­ten und ver­fass­ten Welt intrin­si­sche Wer­te geben kann und auch gibt:

Lau­fen ist das ver­kör­per­te Erfas­sen von intrin­si­schem Wert im Leben. Das ist der Sinn des Lau­fens. Das ist es, was Lau­fen wirk­lich ist. (227)
Lau­fen ist einer der Momen­te im Leben, wo die Zwe­cke und Zie­le ent­fal­len. (216)

Und das führt wie­der­um zu einer wei­te­ren, emi­nent wich­ti­gen Beob­ach­tung über den Sta­tus des Lau­fens:

Lau­fen […] ist ein Weg, um zu ver­ste­hen, was wich­tig oder wert­voll im Leben ist. (15)

Das ent­wi­ckelt Row­lands in einer Art Free-Flow-Phi­lo­so­phie­ren, einem Frei­stil-Den­ken: Ereig­nis­se, Abschnit­te sei­ner Bio­gra­phie, das Tun des eige­nen Lebens die­nen ihm als Anlass und Impuls, über grö­ße­re Zusam­men­hän­ge nach­zu­sin­nen (und die Lese­rin­nen dar­an teil­ha­ben zu las­sen). Manch­mal ein­fach so, manch­mal mit Sys­tem, manch­mal mit Rück­be­zug (aber eher all­ge­mein, nicht spe­zi­ell oder aus­ge­spro­chenn detail­liert) auf die Phi­lo­so­phie­ge­schich­te. Als wesent­lich zeigt sich in Der Läufer und der Wolf, das neben ande­rem auch ein Läu­fer­buch ist (mit dem typi­schen Abschrei­ten der eige­nen Läu­fer­kar­rie­re – dem Lau­fen in der Kind­heit, dem Trai­ning, dem ers­ten Mara­thon, den Hun­den („Wöl­fe“!) als Moti­va­to­ren fürs Lau­fen), die Beob­ach­tung der Pro­zess­haf­tig­keit der Zeit, also: des Alterns. Zu den typi­schen Eigen­hei­ten eines Lauf­buchs gehört auch die wie­der­hol­te Beschwö­rung eines „Herz­schlag des Lau­fes“, die Row­land immer wie­der erzählt: Jeder Lauf hat für sich sei­nen eige­nen Herz­schlag, sein eige­nes Leben, das es zu ent­de­cken, zu spü­ren und zu erfah­ren gilt – ein Moment übri­gens, an dem der Intel­lekt sei­ne Gren­zen auf­ge­zeigt bekommt.

Außer­dem beob­ach­ten Row­lands noch eine Ver­än­de­rung in Stu­fen beim und durch das Lau­fen auf der Lang­stre­cke: Er beschreibt das als spi­no­zis­ti­sche, car­te­sia­ni­sche, hume­sche und sar­tre­sche Pha­sen des Lau­fens, die wäh­rend dem Lau­fen zu einer zuneh­men­den „Ich-Auf­lö­sung“ füh­ren und den Läu­fer, das ist natür­lich der ent­schei­den­de Punkt, Frei­heit schen­ken, ihn (von sich und der Welt) befrei­en.

Wenn ich den­ke, erfah­re ich mich selbst nor­ma­ler­wei­se dabei. Beim Lang­stre­cken­lauf erfah­re ich mich nicht beim Den­ken, weil die Kon­trol­le, die ich über mich selbst habe, weni­ger wird. An die Stel­le des Den­kens tre­ten Gedan­ken, anschei­nend ganz und gar nicht mei­ne eige­nen, die aus dem Nir­gend­wor kom­men, völ­lig uner­war­tet, und gleich wie­der im Dun­kel ver­schwin­den. (77)

Durch die­ses gan­ze Bün­del an dem Lau­fen spe­zi­fisch eige­nen Erfah­run­gen (Zweck­frei­heit, Herz­schlag, Be-Frei­ung) bekommt das Lau­fen sei­nen spe­zi­fi­schen Wert für den moder­nen Men­schen und sei­ne Stel­lung im Leben: Das Lau­fen kann (nicht muss!) uns den „inne­ren Wert des Lebens“ nicht unbe­dingt zei­gen, aber zumin­dest auf­zei­gen oder vor­füh­ren:

Das Lau­fen, so mei­ne The­se, hat einen inne­ren Wert. Und des­halb kommt man, wenn man läuft und es aus dem rich­ti­gen Grund tut, mit dem inne­ren Wert des Lebens in Berüh­rung. (14f.)

Und damit kann das Lau­fen ja unge­heu­er viel – näm­lich nicht weni­ger, als den Sinn des Lebens zu erschlie­ßen:

Aber Lau­fen ist ein Weg, und als sol­cher ermög­licht das Lau­fen es uns, die Fra­ge nach dem Sinn des Lebens zu beant­wor­ten (15)

Mark Row­lands: Der Läufer und der Wolf. 2. Auf­la­ge. Ber­lin: Rogner & Bern­hard 2014. 240 Sei­ten. ISBN 9783954030484.

Lang­stre­cken­lau­fen ist eine ziel­ori­en­tier­te Leis­tung, die zeigt, wie bank­rott das Kon­zept der ziel­ori­en­tier­ten Leis­tung ist. (39)

100 Meilen im Westen

Trailläu­fer und ‑läu­fe­rin­nen sind bei Film­ma­che­rin­nen gera­de sehr beliebt. Kein Wun­der, gibt es doch schö­ne Bil­der fast garan­tiert, und dazu ger­ne noch eine Hel­den­ge­schich­te mit oder ohne Schei­tern, mit oder ohne Opfer – das kann man immer schön (in Bil­dern) erzäh­len … (und nicht zuletzt so Wer­bung machen für den Spon­sor der Läu­fe­rin – hier ist es mal nicht Salo­mon, son­dern Nike). So hat’s auch Bil­ly Yang gemacht, der Sal­ly McRae bei den Wes­tern Sta­tes beglei­te­te und dar­aus mit viel Pathos sei­nen Film „Wes­tern Time“ gemacht hat:


Beim Kli­cken auf das und beim Abspie­len des von You­Tube ein­ge­bet­te­ten Vide­os wer­den (u. U. per­so­nen­be­zo­ge­ne) Daten wie die IP-Adres­se an You­Tube über­tra­gen.

Trail Running is a Journey

ein schö­ner kur­zer Film über die Schön­hei­ten des Lau­fens:

ich bin ja über­zeugt, dass man das „Trail“ dabei durch­aus strei­chen kann, das gan­ze – die Idee der „jour­ney“ und die Schön­heit – gilt fürs Lau­fen über­haupt. Aber schö­ne­re Bil­der gibt’s wahr­schein­lich beim Trai­len. Vor allem natür­lich im Hoch­ge­bir­ge – aber wer ist da schon?

Ein „Tanz mit den Hindernissen“ – Kilian Jornets „Lauf oder stirb“

Bei­na­he hät­te ich das Buch noch auf der ers­ten Sei­te zuge­klappt und in den Papier­korb geschmis­sen. Da steht näm­lich so hirn­ver­brann­ter Unsinn wie:

„Hol dir den Sie­ger­kranz, oder stirb bei dem Ver­such, ihn zu erlan­gen. Ver­lie­ren heißt ster­ben, gewin­nen heißt leben. […] Sport ist ego­is­tisch, weil man ego­is­tisch sein muss, um kämp­fen und lei­den zu kön­nen, um die Ein­sam­keit und die Höl­le zu lie­ben. […] Denn ver­lie­ren heißt ster­ben. Und du kannst nicht ster­ben, ohne alles gege­ben zu haben, ohne dass Schmer­zen und Wun­den dich zum Wei­nen gebracht hät­ten. Du darfst nicht auf­ge­ben. Du musst kämp­fen bis zuletzt. Denn Ruhm ist das Aller­größ­te, und dein ein­zi­ges Ziel muss sein, ihn zu erlan­gen oder auf der Stre­cke zu blei­ben, nach­dem du alles gege­ben hast. […] Es ist an der Zeit zu lei­den, es ist an der Zeit zu kämp­fen, es ist an der Zeit zu sie­gen. Lauf oder stirb! (9f.)

Zum Glück – und das ist wirk­lich ein Glück – ist es mit solch mar­kig-mar­tia­li­scher gewalt- und kriegs­ver­herr­li­chen­der Sprü­che­klop­fe­rei dann auch schnell wie­der vor­bei. Denn der Rest von Lauf oder stirb (der Titel hät­te mich ja war­nen kön­nen) ist ein aus­ge­zeich­ne­tes Lauf­buch.

jornet, lauf oder stirbDa geht es näm­lich wirk­lich um das Lau­fen. Und natür­lich um Kili­an Jor­net. Das führt dazu, dass „Lau­fen“ hier manch­mal etwas ande­res ist als das, was „nor­ma­le“ Men­schen dar­un­ter ver­ste­hen. Jor­net, in den Ber­gen gebo­ren (der Hin­weis darf nie feh­len …), schon früh von sei­nen Eltern in das Wett­kampf­ge­sche­hen der Berg­sport­ar­ten, ins­be­son­de­re des Ski­berg­stei­gens, ein­ge­führt, läuft näm­lich vor allem sehr extrem. Fast nur im Gebir­ge, ger­ne mal ohne Weg und Steg, ger­ne mal weit über das hin­aus­ge­hend, was ver­nünf­tig ist und mit halb­wegs rea­lis­ti­scher Risi­ko­ein­schät­zung noch zu ver­tre­ten ist. Nach­ah­men soll­te man das also nicht unbe­dingt. Lauf oder stirb hat aber auch gar nicht Anspruch, ein Anlei­tungs­buch zu sein: Es gibt kei­ne Trai­nings­plä­ne (die wer­den nicht ein­mal erwähnt), kei­ne Aus­rüs­tungs­tipps, es ist kei­ne Ernäh­rungs­bi­bel und auch kein Weg­wei­ser zu beson­ders tol­len Trails. Statt­des­sen erzählt Jor­net wirk­lich vom Lau­fen und der Fas­zi­na­ti­on dar­an: Der Fas­zi­na­ti­on des Drau­ßen-seins: Dem Erle­ben der Umwelt, der Ber­ge und Gebir­ge, der Pflan­zen und der Tie­re, dem Wet­ter und der Aus­sich­ten, den Natur­schau­spie­len.
Der Fas­zi­na­ti­on der kör­per­li­chen Erfah­rung: Das wört­li­che erlau­fen neu­er Hori­zon­te, neu­er Höhen und Gebie­te.
Der Fas­zi­na­ti­on der Her­aus­for­de­rung von Gren­zen und dem Über­schrei­ten.
Der Fas­zi­na­ti­on des Lau­fens nicht nur als Bewe­gung­form, als Ablauf von Bewe­gun­gen (auch das spielt aber eine Rol­le), son­dern auch als eine Art Exis­tenz, ein psy­chi­scher Zustand, eine Art Sucht.
Und, nicht zu ver­ges­sen: die Fas­zi­na­ti­on des Gewin­nens.
Denn der Jor­net, der sich hier prä­sen­tiert, läuft um zu sie­gen, er ist ein (rei­ner) Wett­kampf­läu­fer: Läu­fe, die der Vor­be­rei­tung, dem Trai­ning die­nen oder ein­fach so unter­nom­men wer­den, spie­len hier kaum eine Rol­le. Es geht ums gewin­nen. Oder sie die­nen dazu, ande­re zu besie­gen. Im direk­ten Ver­gleich wie beim UTMB oder im Unter­bie­ten von Best­zei­ten (zum Bei­spiel beim TRT oder auf dem Kili­man­dscha­ro): Auf das Sie­gen kommt es an.

Ich genie­ße den Wett­kampf. Jeden davon möch­te ich gewin­nen und dabei das Gefühl erle­ben, als Ers­ter durchs Band zu lau­fen. Es ist wun­der­bar, nach der letz­ten Kur­ve in die Ziel­ge­ra­de ein­zu­bie­gen und das Band am Ende zu erspä­hen. Mich noch ein­mal umzu­dre­hen und zu ver­ge- wis­sern, dass nie­mand mir die­sen Moment neh­men kann. Nach vor­ne zu schau­en, die Augen zu schlie­ßen und noch ein­mal Gas zu geben, um mich vom Publi­kum zum Sieg tra­gen zu las­sen. In jenem Moment ver­ges­se ich den Schmerz, spü­re ich mei­nen Kör­per nicht mehr, son­dern bin, von den Emo­tio­nen die­ser letz­ten Sekun­den erfüllt, ganz bei mir. Und dann füh­le ich, wie mein schweiß­nas­ser Kör­per das Ziel­band zer­reißt und es zu Boden fällt. (31)

Das macht Jor­net aller­dings nicht allei­ne, son­dern aus­ge­spro­chen pro­fes­sio­nell mit gro­ßer Mann­schaft, die schnell zwei Dut­zend und mehr „Mit­ar­bei­ter“ umfasst. Das fand ich etwas scha­de, dass er die­sen Umstand ger­ne etwas abtut: Natür­lich sind die ihm wich­tig – die Höf­lich­keit gebie­tet das, aber beson­ders detail­liert oder inten­siv geht er nicht auf sie ein, weder auf die Läu­fer, die ihm als Tem­po­ma­cher die­nen (er nennt das meis­tens „Trai­ner“), noch das Ver­sor­gungs­team und schon gar nicht der gro­ße media­le Zir­kus. Dass sein Spon­sor Salo­mon bei der Pyre­nä­en­que­rung auch einen Hub­schrau­ber im Ein­satz hat­te, erfährt man hier nicht – an weni­gen Stel­len wer­den Kame­ra­leu­te und Foto­gra­fen immer­hin erwähnt.

Das soll jetzt über­haupt nicht sei­ne Leis­tung schmä­lern, hät­te viel­leicht aber ein voll­stän­di­ge­res Bild abge­ge­ben. Denn Jor­net ist, wie viel­leicht kaum ein ande­rer Trail-/Ul­tra­l­äu­fer über­haupt, eine media­le Insze­nie­rung, die sein Spon­sor maß­geb­lich vor­an­treibt. Das mag, um wie­der zum eigent­li­chen zurück­zu­kom­men, mit sei­nem Lauf­stil zusam­men­hän­gen: Lau­fen, das ist für Jor­net ein „Tanz mit den Hin­der­nis­sen“ (66). Dazu gehört auch, sich irr­sin­nig irgend­wel­che Hän­ge und Rin­nen her­ab­zus­tü­ren, über Gra­te zu bret­tern – und dabei noch locker und genie­ßend aus­zu­se­hen. Davon erfährt man auch in Lauf oder stirb viel. Und von dem, was in einem sol­chen Aus­nah­me­läu­fer wäh­rend des Lau­fens vor­geht, wie er das Lau­fen, sei­ne Umge­bung und sich selbst wahr­nimmt – das sind groß­ar­ti­ge Pas­sa­gen wie die­se hier:

Inmit­ten die­ser Far­ben­pracht glei­chen wir Tän­zern, die sich im Rausch der Kraft fort­be­we­gen. Wir spie­len mit dem brei­ten, sich wel­len­för­mig dahin­schlän­geln­den Weg, der uns alles gibt, was wir brau­chen, um Spaß zu haben. Jede Kur­ve, jedes noch so klei­ne Gefäl­le, jeder Son­nen­strahl, der uns trifft, belebt unser Tem­po. Jede Aus­re­de ist recht, um die Schritt­fre­quenz mei­ner Bei­ne zu erhö­hen und zu spü­ren, wie mei­ne Mus­keln sich beim Absto­ßen vom Boden zusam­men­zie­hen und wäh­rend der Flug­pha­se voll­kom­men ent­span­nen. Mei­ne Uhr zeigt mir an, dass ich mich mit sech­zehn Stun­den­ki­lo­me­tern fort­be­we­ge. Ich füh­le mich wirk­lich gut, und mei­ne Füße wür­den den Unter­grund am liebs­ten gar nicht berüh­ren. Wir kom­men mit gro­ßer Geschwin­dig­keit zwi­schen den Bäu­men vor­an, flie­gen förm­lich mit lei­sem Schritt und gleich­mä­ßi­ger Atmung, sodass uns nichts ent­geht, was um uns her­um pas­siert. (62)

Natür­lich gehört auch der Schmerz dazu, die Über­win­dung, das Lösen von Pro­ble­men – sei es der Ver­sor­gung, der Ori­en­tie­rung oder der Mus­ku­la­tur, die viel­leicht nicht ganz so unter­neh­mungs­lus­tig ist.

Die Beses­sen­heit, mit der sich Jor­net dem Lau­fen ver­schreibt, ist sicher nicht ganz üblich. Nicht ganz durch­schnitt­lich sind aber auch sei­ne Vor­aus­set­zun­gen. Für ihn ist es vor allem die Psy­che, die ihn zum Gewin­ner macht. Das ist natür­lich min­des­tens Under­state­ment, eigent­lich sogar etwas geschum­melt. Denn natür­lich geht so etwas – Spit­zen­leis­tun­gen wie der mehr­fa­che Sieg beim UTMB oder ähn­li­ches – nicht ohne ent­spre­chen­de phy­sio­lo­gi­sche Vor­aus­set­zun­gen. Aber man soll­te bei einem Läu­fer­buch viel­leicht auch nicht jedes Wort auf die Gold­waa­ge legen. Denn unab­hän­gig von mei­nen klei­nen Ein­wän­den1 ist Lauf oder stirb ein tol­les Buch, dass die gran­dio­sen Erfah­run­gen, die man – ob man so schnell, weit und extrem läuft wie Jor­net oder wie ich etwas gemä­ßig­ter 😉 – beim Lau­fen immer wie­der machen kann, sehr anschau­lich und gera­de­zu mit­rei­ßend beschreibt.

Kili­an Jor­net: Lauf oder stirb. Das Leben eines bedi­nungs­lo­sen Läu­fers. Mün­chen: Malik 2013. 222 Sei­ten. ISBN 9783890297644.

  1. Dazu gehört übri­gens auch noch die Kri­tik am etwas schlam­pi­gen Lek­to­rat, dass doch tat­säch­lich mehr­mals (S. 15 u.ö.) Gali­zi­en statt Gali­ci­en ste­hen lässt!

Essen und Laufen

Eat & Run, CoverIst das ein Lauf­buch? Der Autor­na­me lässt es ver­mu­ten: Scott Jurek ist einer der gro­ßen Ultra­l­äu­fer. Aber Eat & Run – der Titel ver­rät es ja schon – dreht sich nicht nur ums Lau­fen. Im Gegen­teil: Über wei­te Stre­cken geht es vor allem ums Essen. Nicht ohne Grund steht das im Titel vor­ne. Und zwar um das rich­ti­ge Essen – näm­lich die vega­ne Ernäh­rung. Jurek schil­dert aus­führ­lich sei­nen Weg von der „nor­ma­len“ ame­ri­ka­ni­schen Kost des mitt­le­ren Wes­tens zur vega­ni­schen Ernäh­rung. Das geschieht bei ihm vor allem aus (schein­bar) gesund­heit­li­chen Grün­den und weil er meint zu beob­ach­ten, dass er sich damit bes­ser fühlt. Zugleich pla­gen ihn aber auch lan­ge und immer wie­der die Zwei­fel, ob er mit vega­nen Lebens­mit­teln aus­ge­wo­gen, gesund und in allen Berei­chen aus­rei­chend genährt ist, um Ultras zu lau­fen.

Scha­de, dass das eigent­li­che Lau­fen dann so eine ver­gleichs­wei­se klei­ne Rol­le spielt. Sicher, die gro­ßen Ereig­nis­se sind drin – etwa sein über­ra­schen­der Sieg beim Wes­tern Sta­te 1999. Sein Kampf mit dem Bad­wa­ter, mit dem der von Ste­ve Fried­man in eine angen­hem les­ba­re, durch­aus span­nen­de und abwechs­lungs­rei­che Erzäh­lung gebrach­te Text ein­setzt. Was mir aber oft fehl­te: Was Jurek beim Lau­fen eigent­lich erlebt, wie er das Lau­fen erlebt und wahr­nimmt. Hier geht es dage­gen oft um „Äuße­res“ – sein Trai­ning, die Wett­kämp­fe, die Stre­cken auch mal, das aber schon recht ober­fläch­lich oft.

Typisch für ein Lauf­buch, gera­de von Ultra­l­äu­fern, ist aber ein wesent­li­cher Aspekt: Die per­ma­nen­te Über­bie­tungs­lo­gik (hier aber gar nicht oder nur wenig reflek­tiert). Das muss immer noch etwas här­ter, noch etwas wei­ter, stei­ler, extre­mer und gefähr­li­cher sein. Bei Jurek kommt noch hin­zu: Mit immer mehr Han­di­cap gelau­fen – zum Bei­spiel wie den Hard­rock 100 mit ver­letz­tem Knö­chel -, also immer mehr Scha­den an Leib und See­le in Kauf neh­mend. Aber für „tough men“ ist das natür­lich gar kein Pro­blem, son­dern eine Her­aus­for­de­rung. Viel wei­ter reicht der Hori­zont Jureks hier nicht – scha­de eigent­lich. Scha­de auch, dass er sich auf’s Gewin­nen beschränkt. Sein Schei­tern spielt nur eine sehr klei­ne Rol­le – die Auf­ga­be beim UTMB 2008 ist ihm etwas nur einen hal­ben Satz wert und wird mit einer Ver­let­zung ent­schul­digt. Das ist etwas para­dox, weil er gera­de zuvor sei­ten­wei­se über sei­ne heroi­sche Groß­tat, den Hard­rock 100 schon ver­letzt zu begin­nen, schrieb. Aber es passt in den Ein­druck, der sich bei mir immer mehr ver­stärk­te: Es geht ihm hier nicht ums Lau­fen, son­dern um das Gewin­nen – also um das Besie­gen ande­rer Läu­fer. Das passt nur wenig mit sei­ner ger­ne beschwo­re­nen Beschei­den­heit zusam­men – gera­de wenn es in Sät­zen gip­felt wie:

No one wants to win more than I do. (154)

Ver­nunft und Ver­stand darf man hier aber gene­rell nicht zu viel erwar­ten.

Bei man­chen Din­gen reicht mei­ne Geduld aller­dings auch nicht: Zum Bei­spiel schreibt er lan­ge und aus­führ­lich über die Idee, mit mög­lichst klei­nem „impact“ auf der Erde zu leben, also mög­lichst wenig bis gar kei­ne Res­sour­cen zu ver­brau­chen. Nur um dann weni­ge Sei­ten spä­ter sich ganz selbst­ver­ständ­lich ins Flug­zeug zu set­zen, um ein paar Stun­den zum nächs­ten Lauf zu flie­gen, weil sei­ne Moti­va­ti­on auf den „Haus­run­den“ gera­de im Kel­ler ist. So etwas kapie­re ich ein­fach nie …

Das klingt jetzt alles recht nega­tiv – aber so rich­tig warm gewor­den bin ich mit Eat & Run eben nicht. Obwohl ich die Leis­tun­gen Jureks sehr schät­ze, blieb mir sei­ne Hal­tung zum Lau­fen, wie sie sich hier zeigt, ein­fach fremd.

Scott Jurek with Ste­ve Fried­man: Eat & Run. My unli­kely Jour­ney to Ultra­ma­ra­thon Great­ness. Lon­don u.a.: Bloomsbu­ry 2012. 260 Sei­ten. ISBN 9781408833384

Gerissen

Am 22.1.2014 ist gegen 22 Uhr mein Streak geris­sen – zusam­men mit mei­nem Waden­bein und dem Band (Syn­des­mo­se) am Sprung­ge­lenk (Mai­son­neuve-Frak­tur). Natür­lich war das Ski­fah­ren schuld 😉 – aber wenigs­tens habe ich bei mei­nem ziem­lich hef­ti­gen Sturz auf der Pis­te in Gal­tür (stil­ge­recht direkt ober­halb des Wei­ber­himmls) nie­man­den umge­fah­ren …

2041 Tage bin ich bis dahin in Serie gelau­fen, mit inge­samt 19903 Kilo­me­tern (scha­de eigent­lich, dass es für die 20000 nicht mehr gereicht hat ;-)).

Und jetzt hum­pel ich erst ein­mal noch etwas her­um, sechs Wochen darf ich den Fuß nicht belas­ten, bevor die Schrau­be wie­der her­aus­kommt. Aber dann geht das gan­ze wohl wie­der von vor­ne los. Inzwi­schen habe ich doch schon fast wie­der Lust auf einen neu­en Streak, nach­dem ich mich im letz­ten Jahr öfters nur noch durch die Län­ge mei­ner Serie moti­vie­ren konn­te. Aber nach einer Woche Zwangs­pau­se mer­ke ich: Da fehlt was …

So sah das Waden­bein übri­gens kurz nach dem Sturz aus:

Das gebrochene rechte Wadenbein

Das gebro­che­ne rech­te Waden­bein

Sonntagsausfahrt

Am Sonn­tag­nach­mit­tag war ich noch kurz mit dem Lie­ge­rad im Oden­wald unter­wegs. Dass es der Oden­wald war, sieht man sofort am Geschwin­dig­keits­dia­gramm:

Tempodiagramm 18.8.2013

Tem­po­dia­gramm 18.8.2013

Auf­grund des Wet­ters wur­de es kei­ne beson­ders lan­ge Aus­fahrt. Dabei hat­te es ganz gut ange­fan­gen: Von Erbach aus über Erbuch nach Bull­au hin­auf – fast die gan­ze Zeit hat­te ich zwei Renn­rad­ler im Blick­feld vor mir, mal etwas näher, dann wie­der etwas wei­ter weg. Aber die hat­ten es ganz offen­bar nicht beson­ders eilig, sonst hät­te sie mich bei den Berg­auf­fahr­ten eigent­lich locker abhän­gen kön­nen und sol­len. Kurz vor Bull­au haben sie es dann geschafft – da war ich schon etwas aus­ge­powert und fuhr eine Wei­le in einem sub­op­ti­ma­len Gang …
Von Bull­au bin ich dann durch den Wald am Bullau­er Bild hin­über zum Würz­ber­ger Jäger­tor – das war eine aben­teu­er­li­che Sache. Das ist zwar ein offi­zi­el­ler Rad­weg. Aber mit einem Fahr­rad kaum ver­nünf­tig zu befah­ren, zumin­dest nicht in einem halb­wegs ordent­li­chen Tem­po. Drei Voll­brem­sun­gen mit ein­mal bei­de Füße auf den Boden habe ich gebraucht: Wenn die­ser Weg nicht total hän­gend nach allen Sei­ten ist, dass man kaum einen Pfad zum Fah­ren fin­det, ist er mit Schlag­lö­chern über­setzt. Und die Schlag­lö­cher sind hier rich­ti­ge Gru­ben, in denen ich pro­blem­los mein Hin­ter­rad ver­sen­ken hät­te kön­nen – nur wäre ich dann wohl nciht mehr hin­aus­ge­kom­men. Zum Glück hat es aber immer noch gera­de so geklappt. Nur die bei­den älte­ren Damen kurz vor Würz­berg waren dann total über­rascht, als ich von hin­ten anrausch­te – obwohl ich kräf­tig (soweit das ging …) klin­gel­te und mein Rad auf der schlech­ten Schot­ter­pis­te ganz schön schep­per­te …
Kaum war ich wie­der auf asphal­tier­ten Wegen, fing es dann an zu reg­nen – und zwar ziem­lich kräf­tig. Am Abzweig zur Man­gels­bach habe ich dann sozu­sa­gen die Not­brem­se gezo­gen und mich erst ein­mal eine knap­pe hal­be Stun­de in die Bus­hal­te­stel­le ver­krü­melt. Denn als nächs­tes stand die Abfahr über die B47 nach Michel­stadt hin­un­ter auf dem Plan – und die ist selbst bei guten Ver­hält­nis­sen anstren­gend: Schnell, eini­ge enge Kur­ven – und vor allem viel Ver­kehr. Zum Glück hat es dann irgend­wann deut­lich nach­ge­las­sen, mei­ne Geduld war näm­lich längst am Ende. Also zog ich mei­ne Jacke über und habe es gewagt. Die Abfahrt war dann stel­len­wei­se hei­kel – oder kam mir zumin­dest so vor. Mit knapp 60 km/​h auf regen­nas­ser Fahr­bahn, teil­wei­se noch von den Autos ein­ge­ne­belt: Das war für mei­ne beschei­de­nen Fahr­küns­te grenz­wer­tig. Es hat aber alles geklappt, ich bin heil und glück­lich unten ange­kom­men und war ja dann auch kurz dar­auf schon wie­der zu Hau­se. Aber die dunk­len Wol­ken am Him­mel hat­ten mir die Lust auf die eigent­lich geplan­te wei­te­re Schlei­fe aus­ge­trie­ben …

Pech

War­um ich in der letz­ten Zeit so wenig lau­fe: Pech.

Immer dann, wenn ich die Umfän­ge gera­de wie­der stei­ge­re und die Lust auf mehr da ist, pas­siert irgend etwas blö­des. Erst war es das Fahr­rad­schloss, dass mir auf den rech­ten Mit­tel­fuß gefal­len ist: Zack, wie­der ein paar Tage nur mit äußers­ter Vor­sicht und Zurück­hal­tung nur ganz wenig gelau­fen.

Dann war es nas­ser Asphalt (und viel­leicht noch ein Ölfleck oder so): Zack, war mein Hin­ter­rad nicht mehr unter mir, son­dern neben mir – und mei­ne lin­ke Hüf­te auf den Asphalt gepresst. Nach zehn Tagen sieht das jetzt so aus:

Immer­hin ist die Schwel­lung fast voll­stän­dig zurück­ge­gan­gen, dafür tau­chen neue Blut­ergüs­se auf, die vor­her in der Tie­fe schlum­mer­ten. Inzwi­schen sind die Bewe­gun­gen (nach dem Gehum­pel auf den zwei Kilo­me­ter lan­gen Streak-Not-Stre­cken) wie­der flüs­sig gewor­den. Ganz schmerz­frei ist das aber immer noch nicht, was die Lust und die Umfän­ge natür­lich ent­spre­chend beein­flusst.

Und ich wet­te, wenn ich mich davon erholt habe und die täg­li­chen bzw. wöch­ten­li­chen Umfän­ge wie­der etwas gestei­gert habe, pas­siert etwas ande­res …

« Ältere Beiträge Neuere Beiträge »

© 2024 Täglich laufen

Theme von Anders NorénHoch ↑